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Op Oloop

Op Oloop

Titel: Op Oloop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juan Filloy
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Finnisch sagte sie dringlich: »Wollen Sie sich bitte alle zurückziehen.«
    Keiner schenkte ihr Beachtung. Sie sahen den Grund nicht und strichen weiter um das Lager der Verlobten herum.
    »Wollen sie uns bitte allein lassen«, wiederholte sie mit mehr Nachdruck.
    Daraufhin murmelte der Vater etwas und nahm den Konsul und Van Saal mit sich hinaus, durch den gemeinsamen Schmerz fast schon wieder zu Freunden geworden.
    Kaum waren sie hinausgetreten, verriegelte sie die Tür. Zurück am Lager, hob sie ohne Umstände Franziskas Rock hoch. Sie hatte sich nicht getäuscht. Der odore di femmina, Genitalgeruch mit einem Wort, strömte aus der Blutrosette ihres Menstruationsflusses.
    Für eine Finnin wie sie, mit weißen Haaren, Kleidern und unbefleckter Seele, kam dem Zwischenfall nicht mehr Bedeutung zu als einem Nasenbluten. Sie erledigte ruhig die nötigen Handgriffe. Die nordischen Völker messen derartigen Zwischenfällen keinen anderen Wert bei als den physiologischen. Eine Gouvernante aus Cannes hätte an ihrer Stelle sapphisch ihren Verdacht an der geschwollenen Vulva gerieben. Und hätte sie die Klitoris gesehen, erigiert auf wer weiß welchen Befehl der Korpuskeln der Wollust, hätte sie die Verbindung zur Zeremonie dieses Nachmittags geknüpft und als Erklärung eine krankhafte Reaktion auf deren Mißlingen vermutet. Doch nein. Sie kam aus nordischen Landen. Aus einem Land robuster Mädchen mit Pullovern und Skiern, die fern der Komödie der Liebe unter zinkfarbenem Himmel in Blockhütten leben. Aus einem Volk mit rechtschaffener Psychologie, frei von Vorurteilen, das dennoch unter der Schneeschicht seines klinischen Laizismus einen reichen sinnlichen Humus verbirgt. Kurzum, sie wollte sich das Leben nicht mit abenteuerlichen Vernunftschlüssen schwermachen. Keine Grimasse, kein »Aua« von Franziska hielt sie zurück. Sie erfüllte ihre Rolle mit nüchterner Selbstverständlichkeit. Und nachdem sie sie umgezogen hatte, schüttelte sie das Federbett auf, säuberte das Schlafgemach und öffnete die Tür.
    Quintin Hoerée stieg beklommen die Treppe hinauf. Mit gedämpfter Stimme, als wolle er ihr ein Geheimnis verraten, stellte er sich persönlich mit dieser Mitteilung ein: »Op Oloop ist verschwunden. Hoffentlich stößt ihm nichts zu! Kein Wort zu meiner Tochter. Sorgen Sie dafür, daß sie in ihrem Zimmer bleibt.«
    In diesem Augenblick kam sie hinaus.
    »Señorita, Sie sollten sich nicht bewegen. Señorita, gehen Sie in Ihr Zimmer zurück. Señorita …«
    Franziska zuckte nicht einmal mit der Wimper. Ein düsteres Vorhaben bestimmte sie und verhärtete ihr Gesicht. Ihr Profil war eine weiße und stumme Schneide. In ihr weites Nachtgewand gehüllt stieg sie die Treppe herunter wie ein Geist. Jeder ihrer Schritte auf den Stufen hallte im Herzen ihres Vaters wider.
    »Mein Liebling, warum kommst du nicht zurück? Hör auf mich, Franziska. Komm zu mir, ruh dich aus.«
    Sie ging im gleichen bedachtsamen Tempo weiter.
    Sie hatte das Erdgeschoß erreicht und bog in Richtung des fumoir ab. Entgegen den von den Anwesenden gehegten Befürchtungen, veränderte sich ihr blutleeres Antlitz nicht im geringsten. Keinerlei Geste, kein Schrei, kein Wort. Die reale Anwesenheit Op Oloops spielte für sie schon keine Rolle mehr. Sie war so sehr in ihm aufgegangen, daß sein äußeres Erscheinungsbild wie weggewischt war. Dieser Anschein der Unerschütterlichkeit erweckte in ihren Angehörigen Besorgnis. In der Tat, chez elle war es zu einer augenfälligen Persönlichkeitsumkehrung gekommen. Sie schien ganz nach innen gerichtet, als hätte sie den lock out aller Gefühle verordnet, die für das Beziehungsleben arbeiten.
    In großartigem Schweigen schritt sie weiter und öffnete die Bar. Ohne zu zögern, griff sie aus dem reichhaltigen Flaschenarsenal eine Flasche apricot-brandi heraus und kippte sie hinunter. Sie trank lustlos, begierig, ungestüm, bis die Hand des Vaters sie ihr entriß.
    Es herrschte eine Stille voller Ungeduld und Zorn.
    Der Vater wollte sie für sich einnehmen, indem er sie mit Liebkosungen überschüttete. Sie wies ihn angeekelt zurück. Die Gouvernante ließ angesichts des zunehmenden Geknurres von ihren Bemühungen ab. Ihr kontrollierter Gesichtsausdruck fiel schnell in sich zusammen, und ihr Mund – ihr schöner Puppenmund – verformte sich zu einer gemeinen Schnauze.
    »Alles unterwirft sich dem Gesetz des Rausches.« Quintin Hoerée erkannte die Wahrheit, die in diesem Grundsatz von Jules Romain lag.

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