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Op Oloop

Op Oloop

Titel: Op Oloop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juan Filloy
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hinaus …
    Inmitten des Verkehrsgewühls stammelte er auf seinem side-car seinen Zorn vor sich hin: »… Kommt er mir mit Schnittchen … So ein Trottel! … Oh, doch er täuscht sich gewaltig! … Mich leimt er nicht … Ich werde den laufenden Toten verfolgen … Meine Vorahnungen irren nicht … Ich werde das letzte Wort haben …«
    Der Konsul schenkte dieser Aufreihung an Verwünschungen keine besondere Beachtung. Er hatte abgeschaltet und beschränkte sich darauf, seinen kurzgeschorenen Kopf zu liebkosen.
    Sein Blick blieb im Leeren hängen. Kaum waren drei Minuten vergangen, da führte ihn – als wäre ein Golfball gegen seine Stirn geprallt – ein plötzlicher Wiedergewinn seiner Persönlichkeit in den Speisesaal. Der Tisch war noch für den five o'clock tea gedeckt. Gänzlich unberührt. Es war sieben Uhr abends … Sechs Tassen auf gehäkelten Deckchen in fröhlichen und leuchtenden Farben.

19:00
    Vier Kandelaber mit bläulichen Kerzen. Auf zwei Tellern aus sächsischem Porzellan Früchte von saftiger Plastizität. Eine kubische Vase, aus der langstielig blühende Gladiolen herausragten, an ihrem Fuß mit gelben Primeln und Parmaveilchen verziert. Und hier und da Schnittchen. Fischschnittchen nach finnischer Art …
    Er verschlang eins nach dem anderen, bis er übervoll war. Ein reichhaltiger Schluck Montilla-Sherry beruhigte seinen Magen. Er griff nach einem riesigen Pfirsich. Beim Hineinbeißen fühlte er genußvoll den ersten Vorgeschmack auf seinen Lippen, dann rann der Saft in die Wölbung seines Bauches.
    Diese tierhafte Gier schien ihn mit Wohlergehen zu erfüllen.
    Mit bourgeoisem Wohlergehen. Er erinnerte sich an nichts und niemanden. Franziska und Op Oloop, Quintin und Van Saal – Wolken, weniger noch als ferne Wolken –, sie tauchten nicht mehr vor seinem inneren Auge auf. Weder Liebesangelegenheiten, noch Geschäfte. Weder das Vaterland, noch die Familie, noch das Schichtholz. Und er ließ sich schwer auf einen silbrigen Metallsessel mit mandelfarbigen Flauschkissen fallen.
    Oben, in seinem Haus, lag die umsorgte Einsamkeit Franziskas.
    Draußen, in der Stadt, irrte die dämmrige Einsamkeit Op Oloops umher.
    Oben, die präsente Fürsorge des Vaters und der Gouvernante, die darum kämpften, eine für das Gefühlsleben verlorene Seele zurückzugewinnen.
    Draußen, die hartnäckige Suche des Freundes und des Polizisten, die darum kämpften, eine für das Leben verlorene Seele zurückzugewinnen.
    Oben, außerhalb ihres Bewußtseins, inmitten von Schwärmen aus Vorahnungen, die Liebe Franziskas.
    Draußen, oberhalb seines Bewußtseins, inmitten von geistigem Nebel, die Liebe Op Oloops.
    Oben und draußen …
    Der Statistiker lief weiter und weiter …
    Seine außerordentliche Luftblase hielt sich intakt, als wäre sie ein flexibler Überzug seines Astralkörpers. Menschen, die an Dromomanie oder herumirrendem Delirium leiden, verfügen über ungewöhnliche Resistenz und Verteidigungskraft. Sie haben für die Gefahr nur ein Lachen über, entkommen allen Risiken. Schlafwandler in vollem Wachzustand, werden sie von einem wünschelrutengängerischen Instinkt geleitet. Op Oloop lief so. Stets mit gleichmäßigem Schritt, stets im automatischen Rhythmus, bis die Ermüdung seine Impulse zum Erliegen brachte, als er die körperlichen Grenzen überschritten hatte.
    Er war beim Botanischen Garten angekommen. Pflanzengleich drang er in das Halbdunkel des herbstlichen Dämmerlichts ein. Sein stämmiger Körper – ein wandelnder Baum – schob sich zwischen einigen Bäumen mit rauher Rinde hindurch. Er setzte sich nicht: Er brach auf einer Bank zusammen, Arme und Beine locker herunterhängend wie Zweige. Ihn umgab die Architektur eines römischen Gartens: Terrassen mit Rainweiden, weitflächiger Rasen, ein Wasserbecken, zwei Reihen gespenstischer Zypressen und die marmorne Nacktheit Aphrodites.
    Zur gleichen Zeit ließen der Vater und die Gouvernante Franziska auf ihrem Lager ausgestreckt zurück. Sie war weder wach noch schlief sie. (Betäubung, Entkräftung, Benommenheit.) Sie lag unbeweglich auf dem Bauch, die Extremitäten – ein Kreuz aus Fleisch! – gen die vier Kardinalpunkte der Liebe geöffnet. Sie war weder wach noch schlief sie. (Verdruß, Ermüdung, Fieber.) Sie war in der trüben Stille des Schlafgemachs gefangen wie Op Oloop im Park.
    Der Tod ist nicht immer ein unausweichlicher Schicksalsschlag. Es gibt Scheintode in lebenden Wesen, und selbst in einem einzigen Organismus sind viele

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