Op Oloop
Besonderes?«
Sie antwortete nicht, machte eine zweideutige Gebärde und lud ihn zuckersüß zum Eintreten ein.
Madame Blondel hatte ihre Tätigkeit darauf beschränkt: den gerade Angekommenen anzulächeln und ihm den Weg in den zentralen Salon zu weisen. Ah, und beim Hinausgehen um ein Trinkgeld für die Pförtnerin zu bitten! … In dieser Wohnung befand sie sich in der letzten Etappe ihrer Laufbahn und träumte in den Momenten der Rast von der Zurückgezogenheit eines Häuschens am bretonischen Meer, wo sie ihre Kindheit verbracht hatte. Währenddessen sammelten sich all ihre Lebenserinnerungen in ihrem von Aneurysmen angegriffenen Herzen an; all ihre Tränen lagen unter einem verzweifelnden maquillaje und all die Juwelen ihrer »Schätzchen« häuften sich auf ihrem Kleid aus schwarzem Taft, sittsam bis zum Halse geschlossen. Ihr Doppelkinn hing schlaff und die Muskeln ihrer Brust waren eingefallen. Das Fleisch lügt nicht … Sie war noch immer aufmerksam und freundlich; doch mit einer gewissen mütterlichen Verbitterung, obschon sie nie Mutter gewesen war, vielleicht aus unüberwindbarer Sehnsucht nach der Mutterschaft.
Ein Kunde war auf dem Weg hinaus.
Da Op Oloop die für sie typischen eigennützigen Schmeicheleien kannte, fing er sie ab, als sie bereits dabei war, sich zu entfernen. Auf Französisch, fast herrisch, stellte er seine Frage.
»Madame Blondel, où est la suédoise?«
»Maintenant elle est occupée.«
Auf sein Gesicht trat eine Grimasse tiefsten Widerwillens. Seit der Zuhälter ihm die Information geliefert hatte, war das Bild der Schwedin in seinem Geiste mit der Inbrunst einer virtuellen Schöpfung zu Fleisch geworden. So betrachtete er sie nach seinem Geschmack, in seinen Lieblingsposen, mit der Stimme, dem Gesicht und den Manieren ausgestattet, die man den Wesen zuschreibt, die, da sie zu sehr intuitiv erfühlt oder geliebt werden, schließlich einem selbst ähneln. Die Verfinsterung dieser Perspektive durch die Wirklichkeit störte ihn überaus. Er knirschte mit den Zähnen. Brummelte seinen Verdruß vor sich hin. Ohne sie gesehen oder mit ihr verkehrt zu haben, klagte er sie, die sie nichts weiter getan hatte, als seine Illusion zu zerstören, der Untreue an. Er konnte nicht verstehen, daß sie, die sie in seinem Geiste derart gegenwärtig war, ihn genau dann hintergehen sollte, als seine Sinne im Begriff standen, ihrer tatsächlichen Existenz gegenüberzutreten.
Die Patronin, fertig mit ihren Schmeicheleien, setzte sich neben ihn.
»Was halten Sie davon, Op Oloop, wenn wir einen Whisky trinken?«
»Machen Sie, was sie wollen. Ich trinke mit.«
Das Gewinnstreben in ihr war größer als jegliche Empfindlichkeit. Sie ließ daher den schroffen Ton der Antwort unberücksichtigt. Und, mit der höheren Einnahme kalkulierend, trug sie der Pförtnerin auf: »Ramona, zwei Canadian Club mit Tonic Water.«
Als sie den Kopf zurückwandte, um das Gespräch fortzusetzen, konnte sie es nicht. Das Gebaren des Statistikers schüchterte sie ein wenig ein. Er hatte die klassische Haltung seiner Vorfahren in kritischen Momenten eingenommen. Die Haltung, in der Soren Oloop auf dem Gemälde von Van Ostade zu sehen ist. Die Haltung, die stärkt und verteidigt, die die Zugänge vor Eindringlingen verschließt und die Oberhoheit der Stille bekräftigt. Starr, am äußersten Rand des Sofas sitzend, stützte er seinen linken Ellbogen auf die Armlehne. Legte die Mulde der Hand um den Auswuchs des Kinns. Streckte den Zeigefinger der Nase entlang empor, um dem finsteren Blick der Augen das I-Tüpfelchen aufzusetzen. Schloß mit dreifachem Fingersiegel die Schießscharte des Mundes. Verhakte den Daumen unter der Kinnlade, als ob er ein Sperriegel für ein geheimes Vorhaben sei und verweilte so eine Zeitlang.
Der Block seines Stillschweigens war so kompakt, daß die Schläue die Patronin zum Besten anleitete, was sie tun konnte: ihm keine Beachtung zu schenken. In ihrer langen Odyssee durch Bordelle und Hurenhäuser hatte sie Typen jeden Schlags getroffen: gleichgültige und feurige, undurchdringliche und gesprächige. Es lohnte nicht, sich wegen der mysteriösen Reaktionen weitere Gedanken zu machen. Sie schenkte ein. Während sie ihm sein Glas hinhielt, forderte sie ihn auf: »Trinken Sie. Die Schwedin wird gleich kommen.«
»Die Ssssschwe-din!«
Op Oloop sprach nicht. Er ließ die Buchstaben despektierlich zwischen den Fingern hindurchsickern, die seinen Mund verdeckten. Seine Verachtung war eisig. Er
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