Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Op Oloop

Op Oloop

Titel: Op Oloop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juan Filloy
Vom Netzwerk:
schwöre bei meiner Mutter …«
    »Du hast eine Mutter?« interessierte er sich mit matter Stimme, um vom Thema abzulenken.
    »Ja.«
    »Wo?«
    »In einem Irrenhaus in Helsinki.«
    »Ir-ren-haus!?«
    »Nach der Scheidung von meinem Vater ist sie vor Kummer und Scham verrückt geworden.«
    »Scham … worüber?«
    »Über das, was er mir angetan hat.«
    Op Oloop lud sie sanft ein, sich an seine Seite zu legen. Sie nahm zaghaft an. Ihre Augenbrauen, daran gewöhnt, sich mißmutig hochzuziehen, waren vor Bitterkeit gekrümmt. Sie gab ihren Kopf in die Obhut seiner rechten Achsel. Er kämmte ihre Haarsträhnen mit seinen Fingern.
    »Also …«
    »Er hat mich bestialisch vergewaltigt. Ich war zwölf fahre alt … Der Skandal war riesig, unerträglich. Mein Großvater, der Literaturlehrer am Gymnasium von Oulu …«
    »Wie bitte! WIE BITTE!«
    »… starb während des Prozesses …«
    »Dann bist du …«
    »Meine Mutter be…«
    »… die Tochter von Minna!«
    ».. .schloß, sich scheiden zu lassen …«
    »Von Minna Uusikirkko …«
    «… und danach wurde sie verrückt.«
    »… meiner Jugendliebe!«
    Ohne zu wissen wie, fanden sich beide in der Mitte des Zimmers wieder.
    »Sie, der Freund meiner Mut…!
    »Zu recht kannte ich dich! … Zu recht!«
    Und beide blieben erschöpft stehen, keuchend vor Erstaunen.
    Die Szene war sehr pathetisch gewesen. Jeder von ihnen war von wer weiß welcher dunklen Dringlichkeit angetrieben worden und hatte sich mit aller Wucht in dieses Rennen der Enthüllungen geworfen. Ihre Worte waren zusammengeprallt, hatten sich übereinandergeschoben. Es war ein enormer rush in Richtung der Qual des anderen gewesen. Und sie hatten das nahe Ziel erreicht, Gehör zu finden, sowie das ferne, sich gegenseitig zu verstehen.
    Doppelter Sieg und doppelte Niederlage.
    Nun öffnete sich ein weites Szenario der Morbidität.
    In sich gekehrter Zorn und schweigsame Nostalgie. Der Rausch eines in seiner Kultur verschanzten Geistes und das Dahinwelken einer an Verlassenheit krankenden Seele. Ein unergründlicher moralischer Schmerz, der vergebens kämpft, seine Schuld darzulegen und es nur schafft zu murmeln: »Ich bin alles schuld … Wenn ich Minna geheiratet hätte …«
    Und die tränenvolle Krise, die die Entmutigung der Gegenwart in zwei Worten zusammenfaßt: »Mutter! Meine Mutter!«
    Es entstand eine lange Pause voller Unruhe und Bedrückung.
    Kustaa reagierte zuerst. Gutwillig – eine nackte Antigone – führte sie Op Oloop zum Bett. Ihre Zärtlichkeit war ehrlich, keusch. Doch ihre Worte übersetzten noch nicht ihre tröstende Absicht. Sie waren jammervoll, herzzerreißend. Schienen eher die Klagen eines gefangengenommenen Schmerzes zu sein.
    Dahinkriechend, immer menschenscheuer, schlich sich das subjektive Empfinden Op Oloops in Richtung der angeborenen Dschungel seines Wesens. In seiner melancholischen Abdankung fühlte sich selbst das Fleisch alt an. Es reduzierte sich auf seine Basisfunktion. Sein Kopf – ein leeres Kraftwerk – pendelte mit der Schwerfälligkeit eines Idioten.
    Er stand auf. Sein Blick war verdüstert. Seine Beine zitterten. Er tat sein möglichstes, um sich anzukleiden.
    »Sie vergessen die Weste …«, wollte Kustaa helfen.
    Hätte sie es nur nicht gesagt. Durch Gedankenassoziation erinnerte sich Op Oloop wieder an den Spanier, an die schimpfliche Handlung, sich die Weste nach dem Genuß des Geschlechtsaktes zuzuknöpfen. Und seine ganze zurückgehaltene Raserei offenbarte sich: »Raus mit dir! … Raus! … Ich werde es nie zulassen! … Du bist meine Tochter! … Minna … mein Wort! … ich werde es nicht mehr zulassen … Schnell! … Zieh dich an! … Worauf wartest du, Kustaa? … Du bist meine Tochter … Die Tochter unserer Träume … Minna und ich träumten davon … eine Tochter wie sie zu haben! … und einen Sohn wie mich!… Du bist ihr Ebenbild … Wo ist mein Sohn? … Sag es mir, ich befehle es dir! … Was? … Empfängt man vielleicht nicht in Träumen? … Gebärt man vielleicht nicht in Träumen? … Kustaa, geh jetzt gleich fort von hier … Ich führe dich … Du gehst zu Franziska … Zu Franziska! … Weißt du, wer Franziska ist? … Oh, Franziska! … Fran … zis … ka …«
    Kustaas schrille Schreie hoben sich von Op Oloops rauhem Gebrüll ab und erreichten den Salon.
    Madame Blondel und die beiden anderen Huren liefen herbei.
    Als es an der Tür klopfte, blieb der Statistiker wie versteinert stehen. Die Augen geweitet. Die

Weitere Kostenlose Bücher