Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
die mit Flechten bewachsen sind. Roderich sitzt auf dem Bug mit seiner geladenen Jagddoppelbüchse, ein 9,3-Millimeter-Lauf und ein Schrotlauf Kaliber 20. Einmal taucht 80 Meter entfernt ein Wal auf, er schießt, trifft aber nicht. Auch zwei Eiderenten verfehlt er mit seinen Schüssen, heute ist nicht sein Tag.
Die erste Hundeschlittenlektion verläuft eher schmerzhaft als vielversprechend. »Wenn man die Peitsche in ihrer ganzen Länge nach rückwärts geschwungen hatte und nun bei dem plötzlichen Ruck, mit dem man nach vorn schnellen soll, etwas zunächst Unerklärliches verfehlte, so pfiff sie nicht ans Ziel, sondern dem Dirigenten um den Kopf und hinterliess dort blaue und rote Striemen. Ich glaube, ich habe zusammengezählt in meiner Übungszeit mindestens ebensoviel abgekriegt, als ich später je einem Hund verabfolgt habe«, berichtet der Expeditionsleiter. Er weiß am besten von allen, dass die Beherrschung der Schlittenhunde in den nächsten Wochen über Erfolg oder Scheitern der Expedition entscheiden kann.
Ohlsen pflegt einen wenig zimperlichen Umgang mit seinen Tieren: Wenn einer nachts seine Lederriemen durchgebissen hat, was ständig vorkommt, dann packt er ihn am Kragen und verprügelt ihn nach allen Regeln der Kunst. Die Schweizer Stadtmenschen beobachten das zunächst mit einiger Befremdung. Doch als sie sehen, wie brutal und blutig es auch bei Konflikten innerhalb der Hundeschar zugeht, verstehen sie Ohlsens Verhalten besser. Er muss eben gelegentlich daran erinnern, wer der Boss ist. Ganz wichtig ist allerdings, nie einen Hund grundlos zu bestrafen. Das nimmt der einem noch tagelang übel, sagt Ohlsen.
Am nächsten Tag scheucht er ein gutes Dutzend Hunde auf ein Beiboot. Mit knatternden Motoren fährt die Gruppe weiter ostwärts, wo sie auf einem schneefreien Fleckchen am Ufer für zehn Tage ihre Zelte aufschlägt. »Der blaue Fjord hier erinnert sehr an die oberitalienischen Seen«, schreibt Roderich in seinem Tagebuch. Zu gerne würde er sich ein paar Stunden hinsetzen und ein Bild der Umgebung malen, doch dazu ist keine Zeit. De Quervain bestimmt, dass er stattdessen Fotos machen solle, was Roderich später missmutig kommentiert: »Er sieht nur geologische Schichten und solches Zeugs.«
Außerdem muss mein Opa Vokabeln lernen: Ililí heißt rechts, iu heißt links, nicht zu verwechseln mit ei , das heißt »Stopp!«. Und das sehr beliebte Kommando tatata bedeutet, dass es was zu essen gibt. Mit zwei Schlitten trainieren die Männer in einem zugefrorenen Flussbett. Ohlsen hat als Assistenzlehrer noch seinen Inuitfreund Setti Kleist mitgebracht, damit kein Gespann ohne geübten Piloten losgaloppiert. Man weiß ja nie, wie die Hunde auf den Schweizer Akzent reagieren.
Die schwierigste Übung ist Bergabfahren. Dabei befinden sich die Zugtiere hinter dem Schlitten, die Riemen laufen zwischen den Beinen des Fahrers, und mit dem ständig wiederholten Befehl Imatsiak, »Langsam!«, und vielen Peitschenhieben müssen die Hunde entgegen ihrer stürmischen Natur gebremst werden.
Zwischen den Unterrichtseinheiten geht Roderich mit seinem Gewehr auf die Jagd. Er schießt mehrere Schneehühner, was keine so große Kunst ist, so behäbig, wie diese umherwatscheln. Respekt verdient er sich erst, als er nach einer halbstündigen Verfolgungsjagd am Eissee einen Schneehasen erlegt, das größte Wildtier der Region. Das anschließende Festmahl sorgt für ausgelassene Stimmung. »Hervorragend mit Tüften!«, urteilt Roderich in seinem Tagebuch.
Nicht nur am Esstisch, auch auf den Schlitten macht die Gruppe allmählich eine ganz gute Figur. »Nu tamase ajungilak«, sagt der Fahrlehrer anerkennend, jetzt geht alles gut. Doch damit ist der Inuit-Einführungskurs noch lange nicht beendet. Ohlsen erweist sich als hervorragender Mentor in den Disziplinen Angeln und Kajakfahren. Er führt ihnen das Wälzen im eiskalten Wasser vor, die Eskimorolle. Als Gaule plötzlich kentert, richtet er ihn von seinem Kajak aus wieder auf.
Ohlsens Frau Ania übernimmt das letzte Pflichtfach: Kamiker-Reparatur. Kamiker sind kniehohe wasserdichte Stiefel aus Seehundleder. Als nach vielen Stunden sämtliche Exemplare des Ohlsen-Haushalts geflickt sind, bescheinigt sie den Gästen ausreichende Kenntnisse mit der dreikantigen Nadel.
Jetzt sind die vier Schweizer bereit für die Eiswüste. Zurück in Holstenborg laden sie die Ohlsens zum Abschied in ihr schlichtes Holzhaus zum Abendessen ein, zwei Türen dienen als Tisch,
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