Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
Proviantkisten als Stühle. Die Grönländer bitten, am Ende noch einige Verwandte herholen zu dürfen, und bald finden sich mehr und mehr Einheimische ein, die den improvisierten Tisch wegräumen und zu tanzen beginnen. Ein paar Matrosen der Schiffe im Hafen stoßen hinzu, und schon feiern mehr als 50 Leute auf engstem Raum eine ausgelassene Party zu Ziehharmonikamusik.
Die Gastgeber sind ein wenig überfordert. »Sie haben hier einen Tanz, wo sie auf der Stelle so schnell wie möglich trampeln«, schreibt Roderich. »Es sieht sehr dumm aus, wird aber mit grossem Ernst betrieben.« De Quervain formuliert seine Missbilligung etwas dezenter: »Obschon ich im Nebenzimmer schreibe, wackelt die Feder, wie bei einem permanenten Erdbeben.« Der Lärm lockt schon bald die Polizei an. Mit dem Hinweis, dass ab 22 Uhr Nachtruhe zu herrschen habe, beschließt ein Beamter den Abend.
Die Besucher aus der Schweiz sind nach diesem Zusammenstoß mit der Staatsgewalt vermutlich ganz froh, Holstenborg schon bald mit dem Dampfschiff »Fox« verlassen zu können. Der motorisierte Dreimaster hatte bereits Arktisgeschichte geschrieben, als er 1857 zu einer Suchmission nach Sir John Franklin ausgesandt wurde, dem britischen Seefahrer, der die Nordwestpassage finden wollte und nicht zurückkehrte. Die Folge war die größte Suchaktion des 19. Jahrhunderts, jahrelang blieb sie ohne Erfolg. Bis der irische Kapitän Francis Leopold McClintock mit der »Fox« und 25 Mann Besatzung in die Arktis reiste: Auf der King-William-Insel im Norden Kanadas fand er die Leichen von einigen der 129 Verschollenen. Und eine Nachricht in einem Steinhaufen, die nahelegte, dass niemand überlebt hatte – McClintock hatte eines der größten Rätsel seiner Zeit gelöst.
In den Tagen der Schweizerischen Grönlandexpedition ist die schon etwas altersschwache »Fox« im Verkehrsdienst vor Westgrönland im Einsatz, der Kapitän heißt Stocklund und ist Däne. Zu Ehren der Expeditionsmannschaft hat er eine selbst genähte Schweizer Flagge am Topp hissen lassen. Der Weg nach Norden führt durch eine wahre Märchenlandschaft. »In der Davisstrasse wimmelt es jetzt von Eisbergen«, schreibt Roderich. »Es gibt die tollsten Luftspiegelungen. Über dem Horizont im Südwesten scheinen die Eisberge auf hohen Stangen aus Eis zu stehen, manche schweben frei über dem Meer hoch oben. Oft ist der Horizont ganz undefinierbar mit Eiswänden von nordlichtähnlicher Struktur und tollen senkrechten Wolkenstreifen (wie Kämme) verändert. Im Zeiss vergrössert sieht es ganz gespenstig aus. Wenn jetzt ein Schiff in der Nähe wäre, müsste es direkt verkehrt in der Luft schwebend erscheinen.«
Bei einem der Zwischenstopps macht Roderich einen Kajakausflug und fährt nah an einen Eisberg heran, um die Baukunst der Natur aus der Nähe zu betrachten. Er ist nur noch zehn Meter weg, als der weiße Koloss plötzlich kalbt. Ein riesiger Brocken stürzt mit einem dumpfen Rumpeln ins Wasser, der zurückbleibende Restberg beginnt sich zu wälzen, bläulich schimmernd hebt sich die Unterseite nach oben. Nur ein paar Sekunden später, und der Mann im Kajak wäre vom Eis begraben worden. Er beschließt, nie wieder ohne Not so nah an einen Eisberg heranzufahren.
Unterwegs werden die Hunde für die Durchquerung eingesammelt, die der Expeditionsleiter bei verschiedenen Ortsvorstehern vorab bestellt hat. Das erste Gespann mit neun Tieren und einem kräftigen Leithund namens Mons macht einen hervorragenden Eindruck. Im nächsten Hafen hingegen lassen sie sich ein paar »magere gelbe Katzen« (de Quervain) andrehen. Die Grönländer vor Ort behaupten, dass gerade die kleinen und schmalen Hunde besonders gut ziehen. De Quervain glaubt das nicht so recht. Aber weil er nicht sicher ist, ob er weiter nördlich noch bessere Tiere finden wird, nimmt er sie mit.
Bei einem Stopp in Jakobshavn führt er die Ausbeute dem dänischen Handelsassistenten Krogh vor, der sich gut mit Tieren auskennt. Angesichts der ausgezehrten Köter mit gelblichem Fell muss er einen Lachanfall unterdrücken. Er möchte nicht mit schuld an einem Scheitern der Expedition sein und schlägt vor, sie für einen kleinen Aufpreis gegen bessere Zugtiere auszutauschen. De Quervain nimmt dankend an. Endlich hat er 29 Hunde zusammen, die so aussehen, als könnten sie der Marathonaufgabe gewachsen sein: Silke, Mons, Kakortok, Jack, Erselik, Björn, Cognac, Whisky, Jason, Parpu, Pualasok, Tuva, Kajortatok, Singarnartartok, Vinke, Frak,
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