Oper und Drama
ward. Auf einer stets lebendigen und gegenwärtigen, wirklich empfundenen Überzeugung beruht sie dagegen nicht, sondern sie ist das angelernte Gegenteil dieser Überzeugung. Wir können nach unserer innersten Empfindung in dieser Sprache gewissermaßen nicht mitsprechen, denn es ist uns unmöglich, nach dieser Empfindung in ihr zu erfinden ; wir können unsere Empfindungen in ihr nur dem Verstande, nicht aber dem zuversichtlich verstehenden Gefühle mitteilen, und ganz folgerichtig suchte sich daher in unserer modernen Entwickelung das Gefühl aus der absoluten Verstandessprache in die absolute Tonsprache, unsere heutige Musik, zu flüchten.
In der modernen Sprache kann nicht gedichtet werden, d. h., eine dichterische Absicht kann in ihr nicht ver wirklicht , sondern eben nur als solche ausgesprochen werden.
Die dichterische Absicht ist nicht eher verwirklicht, als bis sie aus dem Verstande an das Gefühl mitgeteilt ist. Der Verstand, der nur eine Absicht mitteilen will, die in der Sprache des Verstandes vollständig mitzuteilen ist, läßt sich nicht zu einer dichterischen, d. h. verbindenden , Absicht an, sondern seine Absicht ist eine zersetzende, auflösende . Der Verstand dichtet nur, wenn er das Zerstreute nach seinem Zusammenhange erfaßt und diesen Zusammenhang zu einem unfehlbaren Eindrucke mitteilen will. Ein Zusammenhang ist nur von einem, dem Gegenstande und der Absicht entsprechenden, entfernteren Standpunkte aus übersichtlich wahrzunehmen; das Bild, das sich so dem Auge darbietet, ist nicht die reale Wirklichkeit des Gegenstandes, sondern nur die Wirklichkeit, die diesem Auge als Zusammenhang erfaßbar ist. Die reale Wirklichkeit vermag nur der lösende Verstand nach ihren Einzelnheiten zu erkennen und durch sein Organ, die moderne Verstandessprache, mitzuteilen; die ideale, einzig verständliche Wirklichkeit vermag nur der dichtende Verstand als einen Zusammenhang zu verstehen, kann sie aber verständlich nur durch ein Organ mitteilen, das dem verdichteten Gegenstande als ein verdichtendes auch darin entspricht, daß es ihn dem Gefühle am verständlichsten mitteilt. Ein großer Zusammenhang von Erscheinungen, aus welchem diese als einzelne einzig erklärbar waren, ist – wie wir sahen – nur durch Verdichtung dieser Erscheinungen darzustellen; diese Verdichtung heißt für die Erscheinungen des menschlichen Lebens Vereinfachung, und um dieser willen Verstärkung der Handlungsmomente, die wiederum nur aus verstärkten Motiven hervorgehen konnten. Ein Motiv verstärkt sich aber nur durch Aufgehen der in ihm enthaltenen verschiedenen Verstandesmomente in ein entscheidendes Gefühls moment, zu dessen überzeugender Mitteilung der Wortdichter nur durch das ursprüngliche Organ des inneren Seelengefühles, die Tonsprache , gelangen kann.
Der Dichter müßte seine Absicht aber unverwirklicht sehen, wenn er sie dadurch unverhüllt aufdeckte, daß er erst im Augenblicke der höchsten Not zu dem erlösenden Ausdrucke der Tonsprache griffe. Wollte er erst da, wo als vollendetster Ausdruck des gesteigertsten Gefühles die Melodie einzutreten hat, die nackte Wortsprache zur vollen Tonsprache umstimmen, so würde er Verstand und Gefühl zugleich in die höchste Verwirrung stürzen, aus der er beide nur durch das unverhohlenste Aufdecken seiner Absicht wieder reißen könnte – also dadurch, daß er das Vorgeben des Kunstwerkes offen wieder zurücknehme, d. h. an den Verstand seine Absicht als solche, an das Gefühl aber einen durch die Absicht nicht bestimmten, zerfließenden und überflüssigen Gefühlsausdruck, den unserer modernen Oper, mitteilt. Die fertige Melodie ist dem Verstande, der bis zu ihrem Eintritte einzig, und selbst auch für die Deutung erwachsender Gefühle, beschäftigt gewesen wäre, unverständlich; er kann nur in dem Verhältnisse an ihr teilnehmen, als er selbst in das Gefühl übergegangen ist, welches in seiner wachsenden Erregung bis zur Vollendung seines erschöpfendsten Ausdruckes gelangt. An dem Wachsen dieses Ausdruckes bis zu seiner höchsten Fülle kann der Verstand nur von dem Augenblicke an teilnehmen, wo er auf den Boden des Gefühles tritt. Diesen Boden betritt der Dichter aber mit Bestimmtheit von da an, wo er sich aus der Absicht des Dramas zu deren Verwirklichung anläßt, denn das Verlangen nach dieser Verwirklichung ist in ihm bereits die notwendige und drängende Erregung desselben Gefühles, an das er einen gedachten Gegenstand zum sichern, erlösenden
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