Oper und Drama
hier – mit Bezug auf meine Darstellung des betreffenden Mythos – an Oidipus erinnere, der von Jokaste geboren war und mit Jokaste die Erlöserin Antigone erzeugte? ] Der Reiz, der diesen Drang erweckt und zur höchsten Erregtheit steigert, liegt außerhalb des Gedrängten in dem Gegenstande seiner Sehnsucht, der sich ihm zuerst durch die Phantasie – die allmächtige Vermittlerin zwischen Verstand und Gefühl – in seinem Reize vorstellt, an dem er sich aber erst befriedigen kann, wenn er sich in seine volle Wirklichkeit ergießt. Dieser Reiz ist die Einwirkung des »ewig Weiblichen«, die den egoistischen männlichen Verstand aus sich herauslockt, und selbst nur dadurch möglich ist, daß das Weibliche das sich Verwandte in ihm anregt: das, wodurch der Verstand dem Gefühle aber verwandt ist, ist das Reinmenschliche , das, was das Wesen der menschlichen Gattung als solcher ausmacht. An diesem Reinmenschlichen nährt sich das Männliche wie das Weibliche, das durch die Liebe verbunden erst Mensch ist.
Der notwendige Drang des dichtenden Verstandes in diesem Dichten ist daher die Liebe – und zwar die Liebe des Mannes zum Weibe : nicht aber jene frivole, unzüchtige Liebe, in der der Mann nur sich durch einen Genuß befriedigen will, sondern die tiefe Sehnsucht, in der mitempfundenen Wonne des liebenden Weibes sich aus seinem Egoismus erlöst zu wissen; und diese Sehnsucht ist das dichtende Moment des Verstandes. Das notwendig aus sich zu Spendende, der nur in der brünstigsten Liebeserregung aus seinen edelsten Kräften sich verdichtende Samen – der ihm nur aus dem Drange, ihn von sich zu geben, d. h. zur Befruchtung ihn mitzuteilen, erwächst, ja an sich dieser gleichsam verkörperlichte Drang selbst ist – dieser zeugende Samen ist die dichterische Absicht, die dem herrlich liebenden Weibe Musik den Stoff zur Gebärung zuführt .
Belauschen wir nun den Akt der Gebärung dieses Stoffes.
Ende des zweiten Teiles
Oper und Drama
Dritter Teil
Dichtkunst und Tonkunst im Drama der Zukunft
[ I ]
Der Dichter hat bisher nach zwei Seiten hin versucht, das Organ des Verstandes, die absolute Wortsprache, zu dem Gefühlsausdrucke zu stimmen, in welchem es ihm zur Mitteilung an das Gefühl behilflich sein sollte: durch das Versmaß – nach der Seite der Rhythmik, durch den Endreim – nach der Seite der Melodik hin. –
Im Versmaße bezogen sich die Dichter des Mittelalters mit Bestimmtheit noch auf die Melodie , sowohl was die Zahl der Silben als namentlich die Betonung betraf. Nachdem die Abhängigkeit des Verses von einer stereotypen Melodie, mit der er nur noch durch ein rein äußerliches Band zusammenhing, zu knechtischer Pedanterie ausgeartet war – wie in den Schulen der Meistersinger –, wurde in neueren Zeiten aus der Prosa heraus ein von irgendwelchen wirklicher Melodie gänzlich unabhängiges Versmaß dadurch zustande gebracht, daß man den rhythmischen Versbau der Lateiner und Griechen – so wie wir ihn jetzt in der Literatur vor Augen haben – zum Muster nahm. Die Versuche zur Nachahmung und Aneignung dieses Musters knüpften sich zunächst an das Verwandteste an und steigerten sich nur so allmählich, daß wir des hier zugrundeliegenden Irrtumes erst dann vollständig gewahr werden konnten, als wir auf der einen Seite zu immer innigerem Verständnis der antiken Rhythmik, auf der anderen Seite, durch unsere Versuche sie nachzuahmen, zu der Einsicht der Unmöglichkeit und Fruchtlosigkeit dieser Nachahmung gelangen mußten. Wir wissen jetzt, daß das, was die unendliche Mannigfaltigkeit der griechischen Metrik erzeugte, die unzertrennliche lebendige Zusammenwirkung der Tanzgebärde mit der Ton-Wortsprache war und alle hieraus hervorgegangenen Versformen nur durch eine Sprache sich bedangen, welche unter dieser Zusammenwirkung sich gerade so gebildet hatte, daß wir aus unserer Sprache heraus, deren Bildungsmotiv ein ganz anderes war, sie in ihrer rhythmischen Eigentümlichkeit fast gar nicht begreifen können.
Das Besondere der griechischen Bildung ist, daß sie der rein leiblichen Erscheinung des Menschen eine so bevorzugende Aufmerksamkeit zuwandte, daß wir diese als die Basis aller griechischen Kunst anzusehen haben. Das lyrische und das dramatische Kunstwerk war die durch die Sprache ermöglichte Vergeistigung der Bewegung dieser leiblichen Erscheinung, und die monumentale bildende Kunst endlich ihre unverhohlene Vergötterung. Zur Ausbildung der Tonkunst fühlten sich die Griechen
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