Oper und Drama
außernatürliche Gegenstände doppelt und dreifach zusammenfügte, um dieser Zusammenfügung willen sie wieder kürzte und zur Unkenntlichkeit namentlich auch dadurch entstellte, daß er den Wohllaut ihrer tönenden Vokale zum hastigen Sprachklange verflüchtigte, und durch Häufung der, für die Verbindung unverwandter Wurzeln nötigen, stummen Laute das lebendige Fleisch der Sprache empfindlich verdürrte. Als die Sprache so das nur durch das Gefühl zu ermöglichende, unwillkürliche Verständnis ihrer eigenen Wurzeln verlor, konnte sie in diesen natürlich auch nicht mehr den Betonungen jener nährenden Muttermelodie entsprechen. Sie begnügte sich, entweder da, wo – wie im griechischen Altertum – der Tanz ein unvermißlicher Teil der Lyrik blieb, so lebhaft wie möglich der Rhythmik der Melodie sich anzuschmiegen, oder sie suchte da, wo – wie bei den modernen Nationen – der Tanz sich immer vollständiger von der Lyrik ausschied, nach einem anderen Bande für ihre Verbindung mit den melodischen Atemabsätzen und verschaffte sich dies im Endreime .
Der Endreim, auf den wir wegen seiner Stellung zu unserer Musik ebenfalls zurückkommen müssen, stellte sich am Ausgange des melodischen Abschnittes auf, ohne den Betonungen der Melodie selbst mehr entsprechen zu können. Er knüpfte nicht mehr das natürliche Band der Ton- und Wortsprache, in welchem der Stabreim wurzelhafte Verwandtschaften zu den melodischen Betonungen für den äußeren und inneren Sinn verständlich vorführte, sondern er flatterte nur lose am Ende der Bänder der Melodie, zu welcher der Wortvers in eine immer willkürlichere und unfügsamere Stellung geriet. – Je verwickelter und vermittelnder aber endlich die Wortsprache verfahren mußte, um Gegenstände und Beziehungen zu bezeichnen, die nur der gesellschaftlichen Konvention, nicht aber der sich selbst bestimmenden Natur der Dinge angehörten; je mehr die Sprache bemüht sein mußte, Bezeichnungen für Begriffe zu finden, die, an sich von natürlichen Erscheinungen abgezogen, wieder zu Kombinationen dieser Abstraktionen verwandt werden sollten; je mehr sie hierzu die ursprüngliche Bedeutung der Wurzeln zu doppelt und dreifacher, künstlich ihnen untergelegter, nur noch zu denkender , nicht mehr zu fühlender , Bedeutung hinaufschrauben mußte, und je umständlicher sie sich den mechanischen Apparat herzustellen hatte, der diese Schrauben und Hebel bewegen und stützen sollte: desto widerspenstiger und fremder ward sie gegen jene Urmelodie, an die sie endlich selbst die entfernteste Erinnerung verlor, als sie sich atem- und tonlos in das graue Gewühl der Prosa stürzen mußte.
Der durch die Phantasie aus dem Gefühle verdichtete Verstand gewann in der prosaischen Wortsprache ein Organ, durch welches er allein, und zwar ganz in dem Grade sich verständlich machen konnte, in welchem sie dem Gefühle unverständlich ward. In der modernen Prosa sprechen wir eine Sprache, die wir mit dem Gefühle nicht verstehen, deren Zusammenhang mit den Gegenständen, die durch ihren Eindruck auf uns die Bildung der Sprachwurzeln nach unserem Vermögen bedang, uns unkenntlich geworden ist; die wir sprechen, wie sie uns von Jugend auf gelehrt wird, nicht aber wie wir sie bei erwachsender Selbständigkeit unseres Gefühles etwa aus uns und den Gegenständen selbst begreifen, nähren und bilden; deren Gebräuchen und auf die Logik des Verstandes begründeten Forderungen wir unbedingt gehorchen müssen, wenn wir uns mitteilen wollen. Diese Sprache beruht vor unserem Gefühle somit auf einer Konvention , die einen bestimmten Zweck hat, nämlich nach einer bestimmten Norm, in der wir denken und unser Gefühl beherrschen sollen, uns in der Weise verständlich zu machen, daß wir eine Absicht des Verstandes an den Verstand darlegen. Unser Gefühl, das sich in der ursprünglichen Sprache unbewußt ganz von selbst ausdrückte, können wir in dieser Sprache nur beschreiben, und zwar auf noch bei weitem umständlichere Weise als einen Gegenstand des Verstandes, weil wir aus unserer Verstandessprache auf eben die komplizierte Weise uns zu ihrem eigentlichen Quelle hinab schrauben müssen, wie wir zu ihr uns aus diesem Quelle hinauf geschraubt haben. – Unsere Sprache beruht demnach auf einer religiös-staatlich-historischen Konvention, die unter der Herrschaft der personifizierten Konvention, unter Ludwig XIV., in Frankreich sehr folgerichtig von einer Akademie auf Befehl auch als gebotene Norm festgestellt
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