Oper und Drama
nur so weit gedrungen, als sie zur Unterstützung der Gebärde zu dienen hatte, deren Inhalt die Sprache an sich schon melodisch ausdrückte. In der Begleitung der Tanzbewegung durch die tönende Wortsprache gewann diese ein so festes prosodisches Maß, d. h. ein so bestimmt abgewogenes, rein sinnliches Gewicht für die Schwere und Leichtheit der Silben, nach dem sich ihr Verhältnis zueinander in der Zeitdauer ordnete, daß gegen diese reinsinnliche Bestimmung (die nicht willkürlich war, sondern auch für die Sprache von der natürlichen Eigenschaft der tönenden Laute in den Wurzelsilben, oder der Stellung dieser Laute zu verstärkten Mitlautern sich herleitete) der unwillkürliche Sprachakzent, durch welchen auch Silben hervorgehoben werden, denen das sinnliche Gewicht keine Schwere zuteilt, sogar zurückzustehen hatte – eine Zurückstellung im Rhythmos, die jedoch die Melodie durch Hebung des Sprachakzentes wieder ausglich. Ohne diese versöhnende Melodie sind nun aber die Metren des griechischen Versbaues auf uns gekommen (wie die Architektur ohne ihren einstigen farbigen Schmuck), und den unendlich mannigfaltigen Wechsel dieser Metren selbst können wir uns wiederum noch weniger aus dem Wechsel der Tanzbewegung erklären, weil wir diese eben nicht mehr vor Augen, wie jene Melodie nicht mehr vor Ohren haben. – Ein unter solchen Umständen von der griechischen Metrik abstrahiertes Versmaß mußte daher alle denkbaren Widersprüche in sich vereinigen. Zu seiner Nachahmung erforderte es vor allem einer Bestimmung unserer Sprachsilben zu Längen und Kürzen, die ihrer natürlichen Beschaffenheit durchaus zuwider war. In einer Sprache, die sich bereits zu vollster Prosa aufgelöst hat, gebietet Hebungen und Senkungen des Sprachtones nur noch der Akzent , den wir zum Zweck der Verständlichung auf Worte oder Silben legen. Dieser Akzent ist aber durchaus nicht ein für ein- und allemal gültiger, wie das Gewicht der griechischen Prosodie ein für alle Fälle gültiges war; sondern er wechselt ganz in dem Maße, als dieses Wort oder diese Silbe in der Phrase, zum Zwecke der Verständlichung, von stärkerer oder schwächerer Bedeutung ist. Ein griechisches Metron in unserer Sprache nachbilden können wir nur, wenn wir einerseits den Akzent willkürlich zum prosodischen Gewichte umstempeln oder andererseits den Akzent einem eingebildeten prosodischen Gewichte aufopfern. Bei den bisherigen Versuchen ist abwechselnd beides geschehen, so daß die Verwirrung, den solche rhythmisch sein sollende Verse auf das Gefühl hervorbrachten, nur durch willkürliche Anordnung des Verstandes geschlichtet werden konnte, der sich das griechische Schema zur Verständlichung über den Wortvers setzte und durch dieses Schema sich ungefähr das sagte, was jener Maler dem Beschauer seines Bildes sagte, unter das er die Worte geschrieben hatte »dies ist eine Kuh«.
Wie unfähig unsere Sprache zu jeder rhythmisch genau bestimmten Kundgebung im Verse ist, zeigt sich am ersichtlichsten in dem einfachsten Versmaße, in das sie sich zu kleiden gewöhnt hat, um – so bescheiden wie möglich – sich doch in irgendwelchem rhythmischen Gewande zu zeigen. Wir meinen den sogenannten Jamben , auf welchem sie als fünffüßiges Ungeheuer unseren Augen und – leider auch – unserem Gehöre am häufigsten sich vorzuführen pflegt. Die Unschönheit dieses Metrons, sobald es – wie in unsern Schauspielen – ununterbrochen vorgeführt wird, ist an und für sich beleidigend für das Gefühl; wird nun aber – wie es gar nicht anders möglich ist – seinem eintönigen Rhythmos zuliebe dem lebendigen Sprachakzente noch der empfindlichste Zwang angetan, so wird das Anhören solcher Verse zur vollständigen Marter; denn, durch den verstümmelten Sprachakzent vom richtigen und schnellen Verständnisse des Auszudrückenden abgelenkt, wird dann der Hörer mit Gewalt angehalten, sein Gefühl einzig dem schmerzlich ermüdenden Ritte auf dem hinkenden Jamben hinzugeben, dessen klappernder Trott ihm endlich Sinn und Verstand rauben muß. – Eine verständige Schauspielerin ward von den Jamben, als sie von unseren Dichtern auf der Bühne eingeführt wurden, so beängstigt, daß sie für ihre Rollen diese Verse sich in Prosa ausschreiben ließ, um durch ihren Anblick nicht verführt zu werden, den natürlichen Sprachakzent gegen ein dem Verständnisse schädliches Skandieren des Verses aufzugeben. Bei diesem gesunden Verfahren entdeckte die Künstlerin gewiß
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