Oper und Drama
Sehnsucht nach dem Tode war. Nur wo der Atem ausging, am Schlusse des Melodieabschnittes, nahm die Wortsprache Anteil an der Melodie durch den Reim der Endsilbe, und dieser Reim galt so bestimmt nur dem letzten ausgehaltenen Tone der Melodie, daß bei sogenannten weiblichen Wortendungen gerade nur die kurze Nachschlagsilbe sich zu reimen brauchte und der Reim einer solchen Silbe einem vorangehenden oder folgenden männlichen Endreime gültig entsprach: ein deutlicher Beweis für die Abwesenheit aller Rhythmik in dieser Melodie und in diesem Verse.
Der von dieser Melodie durch den weltlichen Dichter endlich losgetrennte Wortvers wäre ohne Endreim als Vers völlig unkenntlich gewesen. Die Zahl der Silben, auf denen ohne alle Unterscheidung gleichmäßig verweilt und nach denen einzig die Verszeile bestimmt wurde, konnte, da der Atemabschnitt des Gesanges sie nicht so merklich wie in der gesungenen Melodie unterschied, die Verszeilen nicht voneinander als kenntlich absondern, wenn nicht der Endreim den hörbaren Moment dieser Absonderung so bezeichnete, daß er den fehlenden Moment der Melodie, den Wechsel des Gesangatems, ersetzte. Der Endreim erhielt somit, da auf ihm zugleich als auf dem scheidenden Versabsatze verweilt wurde, eine so wichtige Bedeutung für den Sprachvers, daß alle Silben der Verszeile nur wie ein vorbereitender Angriff auf die Schlußsilbe, wie ein verlängerter Auftakt des Niederschlages im Reime, zu gelten hatten.
Diese Bewegung auf die Schlußsilbe hin entsprach ganz dem Charakter der Sprache der romanischen Völker, die, nach der mannigfaltigsten Mischung fremder und abgelebter Sprachbestandteile, sich in einer Weise herausgebildet hatte, daß in ihr das Verständnis der ursprünglichen Wurzeln dem Gefühle vollständig verwehrt blieb. Am deutlichsten erkennen wir dies an der französischen Sprache, in welcher der Sprachakzent zum vollkommenen Gegensatze der Betonung der Wurzelsilben, wie sie dem Gefühle bei irgend noch vorhandenem Zusammenhange mit der Sprachwurzel natürlich sein müßte, geworden ist. Der Franzose betont nie anders als die Schlußsilbe eines Wortes, liege bei zusammengesetzten oder verlängerten Worten die Wurzel auch noch so weit vorn und sei die Schlußsilbe auch nur eine unwesentliche Anhangssilbe. In der Phrase aber drängt er alle Worte zu einem gleichtönenden, wachsend beschleunigten Angriffe des Schlußwortes, oder besser – der Schlußsilbe, zusammen, worauf er mit einem stark erhobenen Akzente verweilt, selbst wenn dieses Schlußwort – wie gewöhnlich – durchaus nicht das wichtigste der Phrase ist – denn, ganz diesem Sprachakzente zuwider, konstruiert der Franzose die Phrase durchgehende so, daß er ihre bedingenden Momente nach vorn zusammendrängt, während z. B. der Deutsche diese an den Schluß der Phrase verlegt. Diesen Widerstreit zwischen dem Inhalte der Phrase und ihrem Ausdrucke durch den Sprachakzent können wir uns leicht aus dem Einflusse des endgereimten Verses auf die gewöhnliche Sprache erklären. Sobald sich diese in besonderer Erregtheit zum Ausdrucke anläßt, äußert sie sich unwillkürlich nach dem Charakter jenes Verses, dem Überbleibsel der älteren Melodie, wie dagegen der Deutsche im gleichen Falle in Stabreimen spricht – z. B. »Zittern und Zagen«, »Schimpf und Schande«. –
Das Bezeichnendste des Endreimes ist somit aber, daß er, ohne beziehungsvollen Zusammenhang mit der Phrase, als eine Nothülfe zur Herstellung des Verses erscheint, zu deren Gebrauch der gewöhnliche Sprachausdruck sich gedrängt fühlt, wenn er sich in erhöhter Erregtheit kundgeben will. Der endgereimte Vers ist dem gewöhnlichen Sprachausdrucke gegenüber der Versuch, einen erhöhten Gegenstand auf eine Weise mitzuteilen, daß er auf das Gefühl einen entsprechenden Eindruck hervorbringe, und zwar dadurch, daß der Sprachausdruck sich auf eine andere, von dem Alltagsausdruck sich unterscheidende Art mitteile. – Dieser Alltagsausdruck war aber das Mitteilungsorgan des Verstandes an den Verstand; durch einen von diesem unterschiedenen, erhöhten Ausdruck wollte der Mitteilende dem Verstande gewissermaßen ausweichen, d. h. eben an das vom Verstande Unterschiedene, an das Gefühl, sich wenden. Dies suchte er dadurch zu erreichen, daß er das sinnliche Organ des Sprachempfängnisses, welches die Mitteilung des Verstandes in ganz gleichgültiger Unbewußtheit aufnahm, zum Bewußtsein seiner Tätigkeit erweckt, indem er in ihm ein reinsinnliches
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