Oper und Drama
Gefallen an dem Ausdrucke selbst hervorzubringen sucht. Der im Endreim sich abschließende Wortvers vermag nun wohl das sinnliche Gehörorgan soweit zur Aufmerksamkeit zu bestimmen, daß es sich durch Lauschen auf die Wiederkehr des gereimten Wortabschnittes gefesselt fühlen mag: hierdurch wird es aber eben erst nur zur Aufmerksamkeit gestimmt, d. h., es gerät in eine gespannte Erwartung, die dem Vermögen des Gehörorganes genügend erfüllt werden muß, wenn es sich zu so reger Teilnahme anlassen und endlich so vollständig befriedigt werden soll, daß es das entzückende Empfängnis dem ganzen Empfindungsvermögen des Menschen mitteilen kann. Nur wenn das ganze Gefühlsvermögen des Menschen zur Teilnahme an einem, ihm durch einen empfangenden Sinn mitgeteilten, Gegenstande vollständig erregt ist, gewinnt dieses die Kraft, sich aus voller Zusammengedrängtheit nach innen wiederum in der Weise auszudehnen, daß es dem Verstande eine unendlich bereicherte und gewürzte Nahrung zuführt. Da es bei jeder Mitteilung doch nur auf Verständnis abgesehen ist, so geht auch die dichterische Absicht endlich nur auf eine Mitteilung an den Verstand hinaus: um aber zu diesem ganz sichern Verständnisse zu gelangen, setzt sie ihn da, wohin sie sich mitteilt, nicht von vornherein voraus, sondern sie will ihn an ihrem Verständnisse sich gewissermaßen erst erzeugen lassen, und das Gebärungsorgan dieser Zeugung ist, sozusagen, das Gefühlsvermögen des Menschen. Dieses Gefühlsvermögen ist aber zu dieser Gebärung nicht eher willig, als bis es durch ein Empfängnis in die allerhöchste Erregung versetzt ist, in welcher es die Kraft des Gebärens gewinnt. Diese Kraft kommt ihm aber erst durch die Not, und die Not durch die Überfülle, zu der das Empfangene in ihm angewachsen ist: erst das, was einen gebärenden Organismus übermächtig erfüllt, nötigt ihn zum Akte des Gebärens, und der Akt des Gebärens des Verständnisses der dichterischen Absicht ist die Mitteilung dieser Absicht von seiten des empfangenden Gefühles an den inneren Verstand, den wir als die Beendigung der Not des gebärenden Gefühles ansehen müssen.
Der Wortdichter nun, der seine Absicht dem nächstempfangenden Gehörorgane nicht in der Fülle mitteilen kann, daß dieses durch die Mitteilung in jene höchste Erregtheit versetzt werde, in welcher es das Empfangene wiederum dem ganzen Empfindungsvermögen mitzuteilen gedrängt wäre – kann entweder dieses Organ, will er es andauernd fesseln, nur erniedrigen und abstumpfen, indem er es seines unendlichen Empfängnisvermögens gewissermaßen vergessen macht – oder er entsagt seiner unendlich vermögenden Mittätigkeit vollständig, er läßt die Fesseln seiner sinnlichen Teilnahme fahren und benutzt es wieder nur als sklavisch unselbständigen Zwischenträger der unmittelbaren Mitteilung des Gedankens an den Gedanken, des Verstandes an den Verstand, d. h. aber soviel als: der Dichter gibt seine Absicht auf, er hört auf zu dichten, er regt in dem empfangenden Verstande nur das bereits ihm Bekannte, früher schon durch sinnliche Wahrnehmung ihm Zugeführte, Alte, zu neuer Kombination an, teilt ihm aber selbst keinen neuen Gegenstand mit. – Durch bloße Steigerung der Wortsprache zum Reimverse kann der Dichter nichts anderes erreichen, als das empfangende Gehör zu einer teilnahmlosen, kindisch oberflächlichen Aufmerksamkeit zu nötigen, die für ihren Gegenstand, eben den ausdruckslosen Wortreim, sich nicht nach innen zu erstrecken vermag. Der Dichter, dessen Absicht nun nicht bloß die Erregung einer so unteilnehmenden Aufmerksamkeit war, muß endlich von der Mitwirkung des Gefühles ganz absehen und seine fruchtlose Erregung ganz wieder zu zerstreuen suchen, um sich ungestört wieder nur dem Verstande mitteilen zu können.
Wie jene höchste, gebärungskräftige Gefühlserregung einzig zu ermöglichen ist, werden wir nun näher erkennen lernen, wenn wir zuvor noch geprüft haben, in welcher Beziehung unsere moderne Musik zu diesem rhythmischen oder endgereimten Verse der heutigen Dichtkunst steht, und welchen Einfluß dieser Vers auf sie zu äußern vermochte.
Getrennt von dem Wortverse, der sich von ihr losgelöst hatte, war die Melodie einen besondern Entwickelungsgang gegangen. Wir haben diesen früher bereits genauer verfolgt und erkannt, daß die Melodie als Oberfläche einer unendlich ausgebildeten Harmonie und auf den Schwingen einer mannigfaltigsten, dem leiblichen Tanze entnommenen und
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