Oper und Drama
sollen, was wir mit weniger Herzbeklemmung uns erlauben, sobald uns eine weniger respektable Bemühung des Dichters gegenübersteht – somit gestehen wir aber ein, daß wir ein richtiges Verhältnis zwischen Vers und Melodie uns gar nicht vorstellen können. –
Der Melodiker der neuesten Zeit, der all die fruchtlosen Versuche zu einer entsprechenden, gegenseitig sich erlösenden und schöpferisch bestimmenden Verbindung des Wortverses mit der Tonmelodie überschaute, und namentlich auch den übeln Einfluß gewahrte, den eine treue Wiedergebung des Sprachakzentes auf die Melodie bis zu ihrer Entstellung zur musikalischen Prosa ausübte – sah sich, sobald er auf der andern Seite wieder die Entstellung oder gänzliche Verleugnung des Verses durch die frivole Melodie von sich wies, veranlaßt, Melodien zu komponieren, in welchen er aller verdrießlichen Berührung mit dem Verse, den er an sich respektierte, der ihm für die Melodie aber lästig war, gänzlich auswich. Er nannte dies »Lieder ohne Worte« und sehr richtig mußten Lieder ohne Worte auch der Ausgang von Streitigkeiten sein, in denen zu einem Entscheid nur dadurch zu kommen war, daß man sie ungelöst auf sich beruhen ließ. – Dieses jetzt so beliebte »Lied ohne Worte« ist die getreue Übersetzung unserer ganzen Musik in das Klavier zum bequemen Handgebrauche für unsere Kunst-Commis-Voyageurs; in ihm sagt der Musiker dem Dichter: »Mach, was du Lust hast, ich mache auch, was ich Lust habe! Wir vertragen uns am besten, wenn wir nichts miteinander zu schaffen haben.« –
Sehen wir nun, wie wir diesem »Musiker ohne Worte« durch die drängende Kraft der höchsten dichterischen Absicht auf eine Weise beikommen, daß wir ihn vom sanften Klaviersessel herunterheben und in eine Welt höchsten künstlerischen Vermögens versetzen, die ihm die zeugende Macht des Wortes erschließen soll – des Wortes, dessen er sich so weibisch bequem entledigte – des Wortes, das Beethoven aus den ungeheuren Mutterwehen der Musik heraus gebären ließ!
[ II ]
Wir haben, wenn wir in einer verständlichen Beziehung zum Leben bleiben wollen, aus der Prosa unserer gewöhnlichen Sprache den erhöhten Ausdruck zu gewinnen, in welchem die dichterische Absicht allvermögend an das Gefühl sich kundgeben soll. Ein Sprachausdruck, der das Band des Zusammenhanges mit der gewöhnlichen Sprache dadurch zerreißt, daß er seine sinnliche Kundgebung auf fremdhergenommene, dem Wesen unserer gewöhnlichen Sprache uneigentümliche – wie die näher bezeichneten prosodisch-rhythmischen – Momente stützt, kann nur verwirrend auf das Gefühl wirken.
In der modernen Sprache finden nun keine anderen Betonungen statt als die des prosaischen Sprachakzentes , der nirgends auf dem natürlichen Gewichte der Wurzelsilben eine feste Stätte hat, sondern für jede Phrase von neuem dahin verlegt wird, wo er dem Sinne der Phrase gemäß zu dem Zwecke des Verständnisses einer bestimmten Absicht nötig ist. Die Sprache des modernen gewöhnlichen Lebens unterscheidet sich von der dichterischen älteren Sprache namentlich aber dadurch, daß sie um des Verständnisses willen einer bei weitem gehäufteren Verwendung von Worten und Phraseabsätzen bedarf als diese. Unsere Sprache, in der wir uns im gewöhnlichen Leben über Dinge verständigen, die – wie sie von der Natur überhaupt fernab liegen – von der Bedeutung unserer eigentlichen Sprachwurzeln gar nicht mehr berührt werden, hat sich der mannigfaltigsten, verwickeltsten Windungen und Wendungen zu bedienen, um die, mit Bezug auf unsere gesellschaftlichen Verhältnisse und Anschauungen abgeänderten, umgestimmten oder neu vermittelten, jedenfalls unserem Gefühle entfremdeten Bedeutungen ursprünglicher oder von fremdher angenommener Sprachwurzeln zu umschreiben und ihr konventionelles Verständnis zu ermöglichen. Unsere zur Aufnahme dieses vermittelnden Apparates unendlich gedehnten und zerfließenden Phrasen würden vollkommen unverständlich gemacht, wenn der Sprachakzent in ihnen sich durch hervorgehobene Betonung der Wurzelsilben häufte. Diese Phrasen können dem Verständnisse nur dadurch erleichtert werden, daß der Sprachakzent in ihnen mit großer Sparsamkeit nur auf ihre entscheidendsten Momente gelegt wird, wogegen natürlich alle übrigen, ihrer Wurzelbedeutung nach noch so wichtigen Momente, gerade ihrer Häufung wegen, in der Betonung gänzlich fallengelassen werden müssen.
Bedenken wir nun recht, was wir unter der zur
Weitere Kostenlose Bücher