Oper und Drama
Verwirklichung der dichterischen Absicht notwendigen Verdichtung und Zusammendrängung der Handlungsmomente und ihrer Motive zu verstehen haben, und erkennen wir, daß diese wiederum nur durch einen ebenso verdichteten und zusammengedrängten Ausdruck zu ermöglichen sind, so werden wir dazu, wie wir mit unserer Sprache zu verfahren haben, ganz von selbst gedrängt. Wie wir von diesen Handlungsmomenten, und um ihretwillen von den sie bedingenden Motiven, alles Zufällige, Kleinliche und Unbestimmte auszuscheiden hatten; wie wir aus ihrem Inhalte alles von außen her Entstellende, pragmatisch Historische, Staatliche und dogmatisch Religiöse hinwegnehmen mußten, um diesen Inhalt als einen reinmenschlichen, gefühlsnotwendigen darzustellen, so haben wir auch aus dem Sprachausdrucke alles von diesen Entstellungen des Reinmenschlichen, Gefühlsnotwendigen Herrührende und ihnen einzig Entsprechende in der Weise auszuscheiden, daß von ihm eben nur dieser Kern übrigbleibt. – Gerade das, was diesen reinmenschlichen Inhalt einer sprachlichen Kundgebung entstellte, ist es aber, was die Phrase so ausdehnte, daß der Sprachakzent in ihr so sparsam verteilt, und dagegen das Fallenlassen einer unverhältnismäßigen Anzahl unzubetonender Wörter notwendig werden mußte. Der Dichter, der diesen unzubetonenden Wörtern ein prosodisches Gewicht beilegen wollte, gab sich deshalb einer vollkommenen Täuschung hin, über die ihn ein gewissenhaft skandierender Vortrag seines Verses insofern aufklären mußte, als er durch diesen Vortrag den Sinn der Phrase entstellt und unverständlich gemacht sah. Wohl bestand dagegen allerdings die Schönheit eines Verses bisher darin, daß der Dichter aus der Phrase soviel wie möglich alles das ausschied, was als erdrückende Hülfe vermittelnder Wörter den Hauptakzent zu massenhaft umgab: er suchte die einfachsten, der Vermittelung am wenigsten bedürftigen Ausdrücke, um die Akzente sich näherzurücken, und löste hierzu, soviel er konnte, auch den zu dichtenden Gegenstand aus einer drückenden Umgebung historisch-sozialer und staatlich-religiöser Verhältnisse und Bedingungen los. Nie vermochte zeither der Dichter dies aber bis zu dem Punkte, wo er seinen Gegenstand unbedingt nur noch an das Gefühl hätte mitteilen können – wie er den Ausdruck auch nie bis zu dieser Steigerung brachte; denn diese Steigerung zu höchster Gefühlsäußerung wäre eben nur im Aufgehen des Verses in die Melodie erreicht worden – ein Aufgehen, das, wie wir sahen – weil wir es sehen mußten, nicht ermöglicht worden ist. Wo der Dichter aber, ohne des Aufgehens seines Verses in die wirkliche Melodie, den Sprachvers selbst zu bloßen Gefühlsmomenten verdichtet zu haben glaubte, da wurde er , wie der darzustellende Gegenstand, weder vom Verstande mehr noch aber auch vom Gefühle begriffen. Wir kennen Verse der Art als Versuche unserer größten Dichter, ohne Musik Worte zu Tönen zu stimmen.
Nur der dichterischen Absicht, über deren Wesen wir uns im Vorhergehenden bereits verständigt haben, kann es bei ihrem notwendigen Drange nach Verwirklichung zu ermöglichen sein, die Prosaphrase der modernen Sprache von all dem mechanisch vermittelnden Wörterapparate so zu befreien, daß die in ihr liegenden Akzente zu einer schnell wahrnehmbaren Kundgebung zusammengedrängt werden können. Eine getreue Beobachtung des Ausdruckes, dessen wir uns bei erhöhter Gefühlserregung selbst im gewöhnlichen Leben bedienen, wird dem Dichter ein untrügliches Maß für die Zahl der Akzente in einer natürlichen Phrase zuführen. Im aufrichtigen Affekte, wo wir alle konventionellen, die gedehnte moderne Phrase bedingenden Rücksichten fahrenlassen, suchen wir uns immer in einem Atem kurz und bündig so bestimmt wie möglich auszudrücken: in diesem gedrängten Ausdrucke betonen wir aber auch – durch die Kraft des Affektes – bei weitem stärker als gewöhnlich, und zumal rücken wir die Akzente näher zusammen, auf denen wir, um sie wichtig und dem Gefühle ebenso eindringlich zu machen, als wir unser Gefühl in ihnen ausgedrückt wissen wollen, mit lebhaft erhobener Stimme verweilen. Die Zahl dieser Akzente, die unwillkürlich während der Ausströmung eines Atems sich zu einer Phrase oder zu einem Hauptabschnitte der Phrase abschließen, wird stets im genauen Verhältnisse zum Charakter der Erregtheit stehen, so daß z. B. ein zürnender, tätiger Affekt auf einem Atem eine größere Zahl von Akzenten ausströmen
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