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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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verwirrenden Einzelnheiten genau zu fassen suchte und hierdurch in die Wirksamkeit des reinen Verstandes sich verlor, an den der Dichter sich einzig nur wieder wenden konnte, wenn er von der massenhaften Breite seiner Schilderungen betäubt sich schließlich nach einem ihm vertrauten Anhaltspunkte umsah. Der absolute Musiker sah sich dagegen bei seinem Gestalten gedrängt, ein unendlich weites Gefühlselement zu bestimmten, dem Verstande möglichst wahrnehmbaren Punkten zusammenzudrängen; er mußte hierzu der Fülle seines Elementes immer mehr entsagen, das Gefühl zu einem – an sich aber unmöglichen – Gedanken zu verdichten sich mühen und endlich diese Verdichtung nur durch vollständige Entkleidung von allem Gefühlsausdrucke als eine gedachte, einem beliebigen äußeren Gegenstande nachgeahmte Erscheinung der willkürlichen Phantasie empfehlen. – Die Musik glich so dem lieben Gotte unserer Legenden, der vom Himmel auf die Erde herabstieg, um sich dort aber ersichtlich zu machen, Gestalt und Gewand gemeiner Alltagsmenschen annehmen mußte: keiner merkte in dem oft zerlumpten Bettler mehr den lieben Gott. Der wahre Dichter soll nun aber kommen, der mit dem hellsehenden Auge der höchsten erlösungsbedürftigsten Dichternot in dem schmutzigen Bettler den erlösenden Gott erkennt, Krücken und Lumpen von ihm nimmt und auf dem Hauche seines sehnsüchtigen Verlangens mit ihm sich in die unendlichen Räume aufschwingt, in die der befreite Gott mit seinem Atem undenkliche Wonnen des seligsten Gefühles auszugießen weiß. So wollen wir die kärgliche Sprache des Alltagslebens, in dem wir noch nicht das sind, was wir sein können , und deshalb auch noch nicht kundgeben, was wir kundgeben können , hinter uns werfen, um im Kunstwerke eine Sprache zu reden, in der wir einzig das auszusprechen vermögen, was wir kundgeben müssen , wenn wir ganz das sind , was wir sein können.
     
    Der Tondichter hat nun die Töne des Verses nach ihrem verwandtschaftlichen Ausdrucksvermögen so zu bestimmen, daß sie nicht nur den Gefühlsinhalt dieses oder jenes Vokales als besonderen Vokales kundgeben, sondern diesen Inhalt zugleich als einen allen Tönen des Verses verwandten, und diesen verwandten Inhalt als ein besonderes Glied der Urverwandtschaft aller Töne dem Gefühle darstellen.
    Dem Wortdichter war die Aufdeckung einer dem Gefühle und durch dieses dem Verstande endlich selbst einleuchtenden Verwandtschaft der von ihm hervorgehobenen Akzente nur durch den konsonierenden Stabreim der Sprachwurzeln möglich; was diese Verwandtschaft bestimmte, war aber gerade nur die Besonderheit des gleichen Konsonanten; kein anderer Konsonant konnte sich mit diesem reimen, und die Verwandtschaft war daher nur auf eine besondere Familie beschränkt, die gerade nur dadurch dem Gefühle kenntlich war, daß sie als eine durchaus getrennte Familie sich kundgab. Der Tondichter dagegen hat über einen verwandtschaftlichen Zusammenhang zu verfügen, der bis in das Unendliche reicht; und mußte sich der Wortdichter damit begnügen, durch die volle Gleichheit ihrer anlaufenden Konsonanten gerade nur die besonders hervorgehobenen Wurzelworte seiner Phrase dem Gefühle als sinnlich wie sinnig verwandt vorzuführen, so hat der Musiker dagegen die Verwandtschaft seiner Töne zunächst in der Ausdehnung darzustellen, daß er sie von den Akzenten aus über alle , auch unbetonteren Vokale der Phrase ausgießt, so daß nicht die Vokale der Akzente allein, sondern alle Vokale überhaupt als unter sich verwandt dem Gefühle sich darstellen.
    Wie die Akzente in der Phrase ihr besonderes Licht nicht nur zuerst durch den Sinn, sondern in ihrer sinnlichen Kundgebung durch die in der Senkung befindlichen, unbetonteren Worte und Silben erhalten, so haben auch die Haupttöne ihr besonderes Licht von den Nebentönen zu gewinnen, welche zu ihnen sich ganz so zu verhalten haben wie die Auf- und Abtakte zu den Hebungen. Die Wahl und Bedeutung jener Nebenworte und »Silben«, sowie ihre Beziehung zu den akzentuierten Worten, ward zunächst von dem Verstandesinhalte der Phrase bestimmt; nur in dem Grade, als dieser Verstandesinhalt durch Verdichtung umfangreicher Momente zu einem gedrängten, dem Gehörsinne auffallend wahrnehmbaren Ausdrucke gesteigert wurde, verwandelte er sich in einen Gefühlsinhalt. Die Wahl und Bedeutung der Nebentöne, sowie ihre Beziehung zu den Haupttönen, ist nun vom Verstandsinhalte der Phrase insofern nicht mehr abhängig, als dieser im

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