Oper und Drama
Wirkung des Gegenstandes auf den Gefühlskörper selbst gibt der Vokal durch unmittelbare Äußerung des Gefühles auf dem ihm nächsten Wege kund, indem er seine von außen empfangene Individualität zu der Universalität des reinen Gefühlsvermögens ausdehnt, und dies geschieht im musikalischen Tone. Was den Vokal gebar und ihn zu besonderster Verdichtung zum Konsonanten nach außen bestimmte, zu dem kehrt er, von außen bereichert, als ein besonderer zurück, um sich in ihm, dem nun ebenfalls Bereicherten, aufzulösen: dieser bereicherte, individuell gefestigte, zur Gefühlsuniversalität ausgedehnte Ton ist das erlösende Moment des dichtenden Gedankens, der in dieser Erlösung zum unmittelbaren Gefühlsergusse wird.
Dadurch, daß der Dichter den Vokal des akzentuierten und stabgereimten Wurzelwortes in sein Mutterelement, den musikalischen Ton, auflöst, tritt er mit Bestimmtheit nun in die Tonsprache ein: von diesem Augenblicke an hat er die Verwandtschaft der Akzente nicht mehr nach einem, jenem Auge des Gehöres erkennbaren, Maße zu bestimmen, sondern die für das schnelle Empfängnis des Gefühles als notwendig erforderliche Verwandtschaft der zu musikalischen Tönen gewordenen Vokale bestimmt sich nun nach einem Maße, das nur jenem Ohre des Gehöres erkennbar, in seiner empfängnisfähigen Eigentümlichkeit sicher und gebieterisch begründet ist. – Die Verwandtschaft der Vokale zeigt sich schon für die Wortsprache als eine ihnen allen ungleiche mit solcher Bestimmtheit, daß wir Wurzelsilben, denen der Anlaut fehlt, allein schon aus dem Offenstehen des Vokales nach vorn als stabzureimende erkennen und hierin keinesweges durch die volle äußere Ähnlichkeit des Vokales bestimmt werden; wir reimen z. B. »Aug und Ohr«. [Fußnote: Wie vortrefflich bezeichnet in diesem Reime die Sprache, die zwei nach außen offenliegendsten Empfängnisorgane durch die nach außen ebenfalls offenliegenden Vokale; es ist, als ob diese Organe hierin, als mit der ganzen Fülle ihrer universellen Empfängniskraft aus dem Inneren unmittelbar und nackt nach außen gewandt, sich kundgäben. ] Diese Urverwandtschaft, die in der Wortsprache als ein unbewußtes Gefühlsmoment sich erhalten hat, bringt die volle Tonsprache dem Gefühle zum untrüglichen Bewußtsein; indem sie den besonderen Vokal zum musikalischen Tone erweitert, teilt sie seine Besonderheit unserem Gefühle als in einem urverwandtschaftlichen Verhältnisse enthalten und aus dieser Verwandtschaft geboren mit und läßt uns als die Mutter der reichen Vokalfamilie das unmittelbar nach außen gewandte reinmenschliche Gefühl selbst erkennen, das sich nur nach außen wendet, um wiederum unserem reinmenschlichen Gefühle sich mitzuteilen.
Die Darstellung der Verwandtschaft der zu Tönen gewordenen Vokallaute an unser Gefühl kann daher nicht mehr der Wortdichter bewerkstelligen, sondern der Tondichter .
[ III ]
Der charakteristische Unterschied zwischen Wort- und Tondichter besteht darin, daß der Wortdichter unendlich zerstreute, nur dem Verstande wahrnehmbare Handlungs-, Empfindungs- und Ausdrucksmomente auf einen, dem Gefühle möglichst erkennbaren Punkt zusammendrängte; wogegen nun der Tondichter den zusammengedrängten dichten Punkt nach seinem vollen Gefühlsinhalte zur höchsten Fülle auszudehnen hat. Das Verfahren des dichtenden Verstandes ging im Drange nach Mitteilung an das Gefühl dahin, aus den weitesten Fernen sich zu dichtester Wahrnehmbarkeit durch das sinnliche Empfängnisvermögen zu sammeln; von hier aus, vom Punkte der unmittelbaren Berührung mit dem sinnlichen Empfängnisvermögen, hat sich das Gedicht ganz so auszubreiten, wie das empfangende sinnliche Organ, das zur Wahrnehmung des Gedichtes sich ebenfalls auf einen dichten, nach außen gewandten Punkt zusammendrängte, unmittelbar durch die Empfängnis sich in weitere und immer weitere Kreise, bis zur Erregung alles innerlichen Empfindungsvermögens ausbreitet.
Das Verkehrte in dem notgedrungenen Verfahren des einsamen Dichters und des einsamen Musikers lag bisher eben darin, daß der Dichter, um dem Gefühle sich faßlich mitzuteilen, sich in jene vage Breite ausdehnte, in der er zum Schilderer tausender von Einzelnheiten wurde, die eine bestimmte Gestalt der Phantasie so kenntlich wie möglich vorführen sollten: die von vielfachen bunten Einzelnheiten bedrängte Phantasie konnte sich des vorgeführten Gegenstandes endlich immer wieder nur dadurch bemächtigen, daß sie diese
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