Oper und Drama
immer eine aus den Instrumenten in die Gesangsstimme übersetzte. Wir haben uns hierbei mit unwillkürlichem Irrtume die menschliche Stimme immer als ein, nur besonders zu berücksichtigendes, Orchesterinstrument gedacht und als solches sie auch mit der Orchesterbegleitung verwebt. Diese Verwebung geschah bald der Art, wie ich es bereits anführte, nämlich daß die menschliche Stimme als ein wesentliches Bestandteil der Instrumentalharmonie verwendet ward – bald aber auch auf die Weise, daß die Instrumentalbegleitung die harmonisch ergänzende Melodie zugleich mit vortrug, wodurch allerdings das Orchester zu einem verständlichen Ganzen abgeschlossen wurde, in diesem Abschlusse aber auch zugleich den Charakter der Melodie als einen der Instrumentalmusik ausschließlich eigenen aufdeckte. Durch die nötig befundene vollständige Aufnahme der Melodie in das Orchester bekannte der Musiker, daß diese Melodie eine solche sei, die, nur von der ganz gleichen Tonmasse vollständig harmonisch gerechtfertigt, auch von dieser Masse allein verständlich vorzutragen sei. Die Gesangsstimme erschien im Vortrage der Melodie auf diesem harmonisch und melodisch vollständig abgeschlossenen Tonkörper im Grunde durchaus überflüssig und als ein zweiter, entstellender Kopf ihm unnatürlich aufgesetzt. Der Zuhörer empfand dieses Mißverhältnis ganz unwillkürlich: er verstand die Melodie des Sängers nicht eher, als bis er sie, frei von den – dieser Melodie hinderlichen – wechselnden Sprachvokalen und Konsonanten – die ihn beim Erfassen der absoluten Melodie beunruhigten –, nur noch von Instrumenten vorgetragen zu Gehör bekam. Daß unsre beliebtesten Opernmelodien, erst wenn sie vom Orchester – wie in Konzerten und auf Wachtparaden, oder auf einem harmonischen Instrumente vorgetragen, dem Publikum zu Gehör gebracht wurden, von diesem Publikum auch wirklich verstanden und ihm erst dann geläufig wurden, wenn es sie ohne Worte nachsingen konnte – dieser offenkundige Umstand hätte uns schon längst über die gänzlich falsche Auffassung der Gesangsmelodie in der Oper aufklären sollen. Diese Melodie war eine Gesangsmelodie nur insofern, als sie der menschlichen Stimme nach ihrer bloßen Instrumentaleigenschaft zum Vortrage zugewiesen war – einer Eigenschaft, in deren Entfaltung sie durch die Konsonanten und Vokale der Sprachworte empfindlich benachteiligt wurde, und um deren willen die Gesangskunst auch folgerichtig eine Entwickelung nahm, wie wir sie heutzutage bei den modernen Opernsängern auf ihrer ungeniertesten wortlosen Höhe angelangt sehen.
Am auffallendsten kam dies Mißverhältnis zwischen der Klangfarbe des Orchesters und der menschlichen Stimme aber da zum Vorschein, wo ernste Tonmeister nach charakteristischer Kundgebung der dramatischen Melodie rangen. Während sie als einziges Band der rein musikalischen Verständlichkeit ihrer Motive unwillkürlich immer nur noch jene, soeben bezeichnete, Instrumentalmelodie im Gehöre hatten, suchten sie einen besonderen sinnigen Ausdruck für sie in einer ungemein künstlichen und von Note zu Note, von Wort zu Wort reichenden, harmonisch und rhythmisch akzentuierten Begleitung der Instrumente genau zu bestimmen, und gelangten so zur Verfertigung von Musikperioden, in denen, je sorgfältiger die Instrumentalbegleitung mit dem Motive der menschlichen Stimme verwoben war, diese Stimme vor dem unwillkürlich trennenden Gehöre für sich eine unfaßbare Melodie kundgab, deren verständlichende Bedingungen in einer Begleitung vorhanden waren, die, wiederum unwillkürlich losgelöst von der Stimme, an sich dem Gehöre ein unerklärliches Chaos blieb. Der hier zugrundeliegende Fehler war also ein zweifacher. Erstlich: Verkennung des bestimmenden Wesens der dichterischen Gesangsmelodie, die als absolute Melodie von der Instrumentalmusik herbeigezogen wurde; und zweitens: Verkennung der vollständigen Unterschiedenheit der Klangfarbe [Fußnote: Der abstrakte Musiker gewahrte auch nicht die vollkommene Vermischungsunfähigkeit der Klangfarben z. B. des Klaviers und der Violine. Ein Hauptbestandteil seiner künstlerischen Lebensfreuden bestand darin, Klaviersonaten mit Violine usw. zu spielen, ohne gewahr zu werden, daß er eine nur gedachte, nicht aber zu wirklichem Gehör gebrachte Musik zutage förderte. So war ihm das Hören über das Sehen vergangen; denn was er hörte, waren eben nur harmonische Abstraktionen, für die sein Gehörsinn einzig noch empfänglich war,
Weitere Kostenlose Bücher