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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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Religiösphilosophische ausdehnen, was vom Standpunkte des Sprechenden aus von diesem für absolut unaussprechlich ausgegeben wird, und an sich sehr wohl aussprechlich ist, wenn nur das entsprechende Organ dazu verwendet wird.]
    Fassen wir nun zunächst das Unaussprechliche in das Auge, was das Orchester mit größter Bestimmtheit auszudrücken vermag, und zwar im Vereine mit einem anderen Unaussprechlichen – der Gebärde .
    Die Gebärde des Leibes, wie sie sich in der bedeutungsvollen Bewegung der ausdrucksfähigsten Glieder und endlich der Gesichtsmienen als von einer inneren Empfindung bestimmt kundgibt, ist insofern ein vollkommen Unaussprechliches, als die Sprache sie nur zu schildern, zu deuten vermag, während eben nur jene Glieder oder jene Mienen sie wirklich aussprechen konnten. Etwas, was die Wortsprache vollkommen mitteilen kann, also ein vom Verstand an den Verstand mitzuteilender Gegenstand, bedarf der Begleitung oder der Verstärkung durch die Gebärde gar nicht, ja – die unnötige Gebärde könnte die Mitteilung nur stören. Bei einer solchen Mitteilung ist, wie wir früher sahen, das sinnliche Empfängnisorgan des Gehöres aber auch nicht erregt, sondern es dient nur als teilnahmloser Vermittler. Die Mitteilung eines Gegenstandes aber, den die Wortsprache nicht zu völliger Überzeugung an das notwendig auch zu erregende Gefühl kundgeben kann, also ein Ausdruck, der sich in den Affekt ergießt, bedarf durchaus der Verstärkung durch eine begleitende Gebärde. Wir sehen also, daß, wo das Gehör zu größerer sinnlicher Teilnahme erregt werden soll, der Mitteilende sich unwillkürlich auch an das Auge zu wenden hat: Ohr und Auge müssen sich einer höher gestimmten Mitteilung gegenseitig versichern, um dem Gefühle sie überzeugend zuzuführen. Die Gebärde sprach in ihrer nötig gewordenen Mitteilung an das Auge nun aber das aus, was die Wortsprache eben nicht mehr auszudrücken vermochte – konnte sie es, so war die Gebärde überflüssig und störend. Das Auge war durch die Gebärde somit auf eine Weise erregt, der das entsprechende Gleichgewicht der Mitteilung an das Gehör noch fehlte: dieses Gleichgewicht ist zur Ergänzung des Eindruckes zu einem dem Gefühle vollkommen verständlichen aber nötig. Der in der Erregung zur Melodie gewordene Wortvers löst endlich wohl den Verstandesinhalt der ursprünglichen Sprachmitteilung zu einem Gefühlsinhalte auf: das der Gebärde vollkommen entsprechende Moment der Mitteilung an das Gehör ist in dieser Melodie aber noch nicht enthalten; gerade in ihr als erregtestem Sprachausdrucke lag eben die Veranlassung zur Steigerung der Gebärde als eines verstärkenden Momentes, dessen die Melodie noch bedurfte , eben weil das ihm – dem verstärkten Momente der Gebärde – vollkommen Entsprechende noch nicht in ihr enthalten sein konnte. Die Versmelodie enthielt somit nur die Bedingung zur Kundgebung der Gebärde; das, was die Gebärde vor dem Gefühle aber so rechtfertigen soll, wie der Sprachvers durch die Melodie oder die Melodie durch die Harmonie zu rechtfertigen – besser noch: zu verdeutlichen – war, liegt jedoch außerhalb des Vermögens der Melodie, die aus dem Sprachverse hervorging und mit einer wesenhaften, unerläßlich bedingten Seite ihres Körpers eben der Wortsprache zugewandt bleibt, die das Besondere der Gebärde nicht auszusprechen vermag, die Gebärde deshalb zu Hülfe rief und nun das ihr vollständig Entsprechende dem darnach verlangenden Gehöre eben nicht mitteilen kann. – Das somit in der Worttonsprache Unaussprechliche der Gebärde vermag nun aber die von dieser Wortsprache gänzlich losgelöste Sprache des Orchesters wiederum so an das Gehör mitzuteilen, wie die Gebärde selbst es an das Auge kundgibt.
    Die Fähigkeit hierzu gewann das Orchester aus der Begleitung der sinnlichsten Gebärde, der Tanzgebärde , der diese Begleitung eine aus ihrem Wesen bestimmte Notwendigkeit für ihre verständliche Kundgebung war, indem sich die Tanzgebärde, wie die Gebärde überhaupt, zur Orchestermelodie etwa so verhält wie der Wortvers zu der aus ihm bedingten Gesangsmelodie, so daß Gebärde und Orchestermelodie erst ebensolch ein Ganzes, an sich Verständliches bilden, wie die Worttonmelodie für sich. – Ihren sinnlichsten Berührungspunkt, d. h. den Punkt, wo beide – die eine im Raum, die andere in der Zeit, die eine dem Auge, die andere dem Ohre – sich als ganz gleich und gegenseitig aus sich bedingt kundgaben, hatten

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