Oper und Drama
Zeitdauer, und nach der Möglichkeit einer vollkommen entsprechenden Darstellung der Szene bedingt sich die Ausdehnung im Raume; denn sie will nur eines: sich dem Gefühle verständlich machen. – In dem engsten Raume und in der gedrängtesten Zeit kann sich nach Belieben eine vollkommen uneinige und zusammenhangslose Handlung ausbreiten – wie wir dies denn auch in unsren Einheitsstücken zur Genüge sehen. Die Einheit der Handlung bedingt sich dagegen aus ihrem verständlichen Zusammenhange selbst; nur durch eines kann sie aber diesen verständlich kundgeben, und dieses ist nicht Raum und Zeit, sondern der Ausdruck . Haben wir diesen Ausdruck als einheitlichen, d. h. zusammenhängenden und stets den Zusammenhang vergegenwärtigenden, mit dem Vorhergehenden genau ermittelt und als wohlzuermöglichend bezeichnet, so haben wir auch in diesem Ausdrucke das in Zeit und Raum notwendig Getrennte als ein Wiedervereinigtes und, da, wo es zum Verständnisse nötig war, stets Vergegenwärtigtes gewonnen; denn seine notwendige Gegenwart liegt nicht im Raum und in der Zeit, sondern in dem Eindrucke , der in Raum und Zeit auf uns sich äußert. Die beim Mangel dieses Ausdruckes entstandenen Bedingungen, wie sie sich an Raum und Zeit knüpften, sind durch den Gewinn dieses Ausdruckes somit aufgehoben, Zeit und Raum selbst durch die Wirklichkeit des Dramas vernichtet. –
So wird denn das wirkliche Drama durch nichts von außen her mehr beeinflußt, sondern es ist ein organisches Seiendes und Werdendes , welches sich aus seinen inneren Bedingungen an der einzigen, es wiederum bedingenden Berührung mit außen, an der Notwendigkeit des Verständnisses seiner Kundgebung – und zwar seiner Kundgebung als solchen, wie es ist und wird – entwickelt und gestaltet, seine verständliche Gestaltung aber dadurch gewinnt, daß es aus innerstem Bedürfnisse heraus sich den allermöglichenden Ausdruck seines Inhaltes gebiert.
[ VII ]
In der hiermit beendigten Darstellung habe ich Möglichkeiten des Ausdruckes bezeichnet, deren eine dichterische Absicht sich bedienen kann , und deren die höchste dichterische Absicht zu ihrer Verwirklichung sich bedienen muß . Die Wahrmachung dieser Möglichkeiten des Ausdruckes bedingt sich einzig aus der höchsten dichterischen Absicht: diese kann aber erst gefaßt werden, wenn der Dichter jener Möglichkeiten sich bewußt ist. –
Wer mich hiergegen so verstanden hat, als wäre es mir darum zu tun gewesen, ein willkürlich erdachtes System aufzustellen, nach dem fortan Musiker und Dichter arbeiten sollten, der hat mich nicht verstehen wollen. – Wer ferner aber glauben will, das Neue, was ich etwa sagte, beruhe auf absoluter Annahme und sei nicht identisch mit der Erfahrung und der Natur des entwickelten Gegenstandes, der wird mich nicht verstehen können, auch wenn er es wollte. – Das Neue, das ich etwa sagte, ist nichts anderes als das mir bewußt gewordene Unbewußte in der Natur der Sache, das mir als denkendem Künstler bewußt ward, da ich das nach seinem Zusammenhange erfaßte, was von Künstlern bisher nur getrennt gefaßt worden ist. Ich habe somit nichts Neues erfunden, sondern nur jenen Zusammenhang gefunden. –
Es bleibt mir nur noch übrig, das Verhältnis zwischen Dichter und Musiker , wie es aus der obigen Darstellung hervorgeht, zu bezeichnen. Um dies in Kürze zu tun, beantworten wir uns zunächst die Frage: »Hat sich der Dichter dem Musiker und der Musiker dem Dichter gegenüber zu beschränken ?«
Die Freiheit des Individuums hat bisher nur in einer – weisen – Beschränkung nach außen möglich geschienen: Mäßigung seiner Triebe, somit der Kraft seines Vermögens war die erste Anforderung der staatlichen Gemeinsamkeit an den einzelnen. Die volle Geltendmachung einer Individualität mußte als gleichbedeutend mit der Beeinträchtigung der Individualität anderer angesehen werden, und Selbstbeschränkung der Individualität war dagegen höchste Tugend und Weisheit. – Genaugenommen war diese, vom Weisen gepredigte, von Lehrdichtern besungene, vom Staate endlich als Untertanspflicht, von der Religion als Pflicht der Demut geforderte Tugend eine niemals vorhandene, gewollte – aber nicht ausgeübte, gedachte – aber nicht verwirklichte; und solange eine Tugend gefordert wird, wird sie in Wahrheit auch nicht ausgeübt werden. Die Ausübung dieser Tugend war entweder eine despotisch erzwungene – somit also ohne das Verdienst der Tugend, wie es gedacht wurde;
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