Oper und Drama
Gefühl kundzugeben vermag. Ein Inhalt, der einen zwiefachen Ausdruck bedingen würde, d. h. einen Ausdruck, durch den der Mitteilende sich abwechselnd an den Verstand und an das Gefühl zu wenden hätte, ein solcher Inhalt könnte ebenfalls nur ein zwiespältiger, uneiniger sein. – Jede künstlerische Absicht ringt ursprünglich nach einheitlicher Gestaltung, denn nur in dem Grade, als sie dieser Gestaltung sich nähert, wird überhaupt eine Kundgebung zu einer künstlerischen: ihre notwendige Spaltung tritt aber genau von da ab ein, wo der zu Gebote gestellte Ausdruck die Absicht nicht mehr vollständig mitzuteilen vermag. Da es der unwillkürliche Wille jeder künstlerischen Absicht ist, sich an das Gefühl mitzuteilen, so kann der spaltende Ausdruck nur ein solcher sein, welcher das Gefühl nicht vollständig zu erregen vermag: das Gefühl vollständig erregen muß aber ein Ausdruck, der diesen seinen Inhalt vollständig mitteilen will. Dem bloßen Wortsprachdichter war diese vollständige Erregung des Gefühles durch sein Ausdrucksorgan unmöglich, und was er daher durch dieses dem Gefühle nicht mitteilen konnte, mußte er, um den Inhalt seiner Absicht vollständig auszusprechen, dem Verstande kundgeben: diesem mußte er das zu denken überlassen, was er von dem Gefühle nicht empfinden lassen konnte, und er konnte endlich auf dem Punkte der Entscheidung seine Tendenz nur als Sentenz, d. h. als nackte, unverwirklichte Absicht, aussprechen, wodurch er den Inhalt seiner Absicht selbst notgedrungen zu einem unkünstlerischen erniedrigen mußte. Erscheint nun das Werk des bloßen Wortsprachdichters als unverwirklichte dichterische Absicht, so ist das Werk des absoluten Musikers dagegen als ein der dichterischen Absicht gänzlich bares zu bezeichnen, da durch den rein musikalischen Ausdruck das Gefühl wohl vollständig angeregt, nicht aber bestimmt werden konnte. Der Dichter mußte des unzureichenden Ausdruckes wegen den Inhalt in einen Gefühls- und einen Verstandesinhalt spalten und das angeregte Gefühl somit in eben der ruhelosen Unbefriedigtheit lassen, wie er den Verstand in ein unzubefriedigendes Nachsinnen über diese Ruhelosigkeit des Gefühles versetzte. Der Musiker zwang nicht minder den Verstand zur Aufsuchung eines Inhaltes des Ausdruckes, der das Gefühl so vollständig aufregte, ohne gerade in dieser vollsten Aufregung ihm Beruhigung zuzuführen. Der Dichter gab diesen Inhalt als Sentenz, der Musiker – um irgendeine, in Wahrheit unvorhandene, Absicht anzugeben – als Titel der Komposition. Beide hatten sich schließlich aus dem Gefühle an den Verstand zu wenden; der Dichter – um ein unvollständig erregtes Gefühl zu bestimmen, der Musiker – um vor einem zwecklos erregten Gefühle sich zu entschuldigen.
Wollen wir daher den Ausdruck genau bezeichnen, der als ein einiger auch einen einigen Inhalt ermöglichen würde, so bestimmen wir ihn als einen solchen, der eine umfassendste Absicht des dichterischen Verstandes am entsprechendsten dem Gefühle mitzuteilen vermag. Ein solcher Ausdruck ist nun derjenige, der in jedem seiner Momente die dichterische Absicht in sich schließt, in jedem sie aber auch vor dem Gefühle verbirgt, nämlich – sie verwirklicht . – Selbst der Worttonsprache wäre dieses vollständige Bergen der dichterischen Absicht nicht möglich, wenn ihr nicht ein zweites, mitertönendes Tonsprachorgan zugegeben werden könnte, welches überall da, wo die Worttonsprache, als unmittelbarste Bergerin der dichterischen Absicht, in ihrem Ausdrucke notwendig so tief sich herabsenken muß, daß sie, um der unzerreißlichen Verbindung dieser Absicht mit der Stimmung des gewöhnlichen Lebens willen, sie mit einem fast schon durchsichtigen Tonschleier nur noch verdecken kann, das Gleichgewicht des einigen Gefühlsausdruckes vollkommen aufrechtzuerhalten vermag.
Das Orchester ist, wie wir sahen, dieses die Einheit des Ausdruckes jederzeit ergänzende Sprachorgan, welches da, wo der Worttonsprachausdruck der dramatischen Personen sich, zur deutlicheren Bestimmung der dramatischen Situation, bis zur Darlegung seiner kenntlichsten Verwandtschaft mit dem Ausdrucke des gewöhnlichen Lebens als Verstandesorgan herabsenkt, durch sein Vermögen der musikalischen Kundgebung der Erinnerung oder Ahnung den gesenkten Ausdruck der dramatischen Person der Art ausgleicht, daß das angeregte Gefühl stets in seiner gehobenen Stimmung bleibt und nie durch gleiches Herabsinken in eine reine
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