Oper und Drama
der Oper nur ihrer äußeren Struktur nach als ähnlich, keinesweges aber einem formbedingenden Inhalte nach wirklich zusammenhing. Das Zusammenhangslose war so recht eigentlich der Charakter der Opernmusik. Nur das einzelne Tonstück hatte eine in sich zusammenhängende Form, die aus absolut musikalischem Ermessen hergeleitet, durch die Gewohnheit erhalten, und dem Dichter als Zwangsjoch aufgelegt war. Das Zusammenhängende in diesen Formen bestand darin, daß ein von vornherein fertiges Thema mit einem zweiten Mittelthema abwechselte und nach musikalisch motivierter Willkür sich wiederholte. Wechsel, Wiederholung, Verkürzung und Verlängerung der Themen machten die einzig durch sie bedingte Bewegung des größeren, absoluten Instrumentaltonstückes, des Symphoniesatzes aus, der aus einem, vor dem Gefühle möglichst zu rechtfertigenden Zusammenhange der Themen und ihrer Wiederkehr eine einheitvolle Form zu gewinnen strebte. Die Rechtfertigung dieser Wiederkehr beruhte aber immer nur auf einer gedachten, nie verwirklichten Annahme, und nur die dichterische Absicht kann diese Rechtfertigung wirklich ermöglichen, weil sie sie als eine notwendige Bedingung ihrer Verständlichkeit geradesweges erfordert.
Die zu genau unterscheidbaren, und ihren Inhalt vollkommen verwirklichenden, melodischen Momenten gewordenen Hauptmotive der dramatischen Handlung bilden sich in ihrer beziehungsvollen, stets wohlbedingten – dem Reime ähnlichen – Wiederkehr zu einer einheitlichen künstlerischen Form, die sich nicht nur über engere Teile des Dramas, sondern über das ganze Drama selbst [Fußnote: Der einheitliche Zusammenhang der Themen, den bisher der Musiker in der Ouvertüre herzustellen sich bemühte, soll im Drama selbst gegeben werden. ] als ein bindender Zusammenhang erstreckt, in welchem nicht nur diese melodischen Momente als gegenseitig sich verständlichend und somit einheitlich erscheinen, sondern auch die in ihnen verkörperten Gefühls- oder Erscheinungsmotive, als stärkste der Handlung und die schwächeren derselben in sich schließend, als sich gegenseitig bedingende, dem Wesen der Gattung nach einheitliche – dem Gefühle sich kundgeben. – In diesem Zusammenhange ist die Verwirklichung der vollendeten einheitlichen Form erreicht und durch diese Form die Kundgebung eines einheitlichen Inhaltes, somit dieser Inhalt selbst in Wahrheit erst ermöglicht.
Fassen wir alles hierauf Bezügliche nochmals zu einem erschöpfenden Ausdrucke zusammen, so bezeichnen wir also die vollendetste einheitliche Kunstform als diejenige, in der ein weitester Zusammenhang von Erscheinungen des menschlichen Lebens – als Inhalt – sich in einem so vollkommen verständlichen Ausdrucke an das Gefühl mitteilen kann, daß dieser Inhalt in all seinen Momenten sich als ein das Gefühl vollkommen erregender und vollkommen befriedigender kundgibt. Der Inhalt hat also ein im Ausdrucke stets gegenwärtiger und dieser Ausdruck daher ein den Inhalt nach seinem Umfange stets vergegenwärtigender zu sein; denn das Ungegenwärtige erfaßt nur der Gedanke, nur das Gegenwärtige aber das Gefühl.
In dieser Einheit des stets vergegenwärtigenden und den Inhalt nach seinem Zusammenhange umfassenden Ausdruckes ist zugleich und einzig entscheidend auch das bisherige Problem der Einheit des Raumes und der Zeit gelöst.
Raum und Zeit konnten, als Abstraktionen von der wirklichen leiblichen Eigenschaft der Handlung, nur darum die Aufmerksamkeit unsrer Drama konstruierenden Dichter fesseln, weil ein einiger, vollkommen verwirklichender Ausdruck des gewollten dichterischen Inhaltes ihnen nicht zu Gebote stand. Raum und Zeit sind gedachte Eigenschaften wirklicher sinnlicher Erscheinungen, die, sobald sie gedacht werden, in Wahrheit die Kraft der Kundgebung bereits verloren haben: der Körper dieser Abstraktionen ist das Wirkliche, Sinnfällige der Handlung, die in einer bestimmten räumlichen Umgebung und in einer von ihr aus sich bedingenden Andauer der Bewegung sich kundgibt. Die Einheit des Dramas in die Einheit von Raum und Zeit setzen heißt sie in nichts setzen, denn Raum und Zeit sind an sich nichts und werden erst etwas dadurch, daß sie von etwas Wirklichem , einer menschlichen Handlung und ihrer natürlichen Umgebung verneint werden. Diese menschliche Handlung muß das an sich Einheitliche, das ist: Zusammenhängende, sein; nach der Möglichkeit, ihren Zusammenhang zu einem überschaulichen zu machen, bedingt sich die Annahme ihrer
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