Oper und Drama
Verstandestätigkeit sich zu verwandeln hat. Die gleiche Höhe des Gefühles, von der dieses nie herabzusinken, sondern nur noch sich zu steigern hat, bestimmt sich durch die gleiche Höhe des Ausdruckes und durch diesen die Gleichheit, das ist: Einheit des Inhaltes.
Beachten wir aber wohl, daß die ausgleichenden Ausdrucksmomente des Orchesters nie aus der Willkür des Musikers , als etwa bloß künstliche Klangzutat, sondern nur aus der Absicht des Dichters zu bestimmen sind. Sprechen diese Momente etwas mit der Situation der dramatischen Personen Unzusammenhängendes, ihnen Überflüssiges, aus, so ist auch die Einheit des Ausdruckes durch Abweichung vom Inhalte gestört. Die bloße, absolut musikalische Ausschmückung gesenkter oder vorbereitender Situationen, wie sie in der Oper zur Selbstverherrlichung der Musik in sogenannten »Ritornels«, Zwischenspielen, und selbst auch zur Gesangsbegleitung beliebt wird, hebt die Einheit des Ausdruckes vollständig auf und wirft die Teilnahme des Gehöres auf die Kundgebung der Musik – nicht mehr als Ausdruck, sondern gewissermaßen als Ausgedrücktes selbst. Auch jene Momente müssen nur durch die dichterische Absicht bedingt sein, und zwar in der Weise, daß sie als Ahnung oder Erinnerung unser Gefühl immer einzig nur auf die dramatische Person und das mit ihr Zusammenhängende oder von ihr Ausgehende hinweisen. Wir dürfen diese ahnungs- oder erinnerungsvollen melodischen Momente nicht anders vernehmen, als daß sie uns eine von uns empfundene Ergänzung der Kundgebung der Person erscheinen, die jetzt vor unsren Augen ihre volle Empfindung noch nicht äußern will oder kann.
Diese melodischen Momente, an sich dazu geeignet, das Gefühl immer auf gleicher Höhe zu erhalten, werden uns durch das Orchester gewissermaßen zu Gefühlswegweisern durch den ganzen, vielgewundenen Bau des Dramas. An ihnen werden wir zu steten Mitwissern des tiefsten Geheimnisses der dichterischen Absicht, zu unmittelbaren Teilnehmern an dessen Verwirklichung. Zwischen ihnen, als Ahnung und Erinnerung, steht die Versmelodie als getragene und tragende Individualität, wie sie sich aus einer Gefühlsumgebung, bestehend aus den Momenten der Kundgebung sowohl eigener als einwirkender fremder, bereits empfundener oder noch zu empfindender Gefühlsregungen, heraus bedingt. Diese Momente beziehungsvoller Ergänzung des Gefühlsausdruckes treten zurück, sobald das mit sich ganz einige handelnde Individuum zum vollsten Ausdrucke der Versmelodie selbst schreitet: dann trägt das Orchester diese nur noch nach seinem verdeutlichendsten Vermögen, um, wenn der farbige Ausdruck der Versmelodie sich wieder zur nur tönenden Wortphrase herabsenkt, von neuem durch ahnungsvolle Erinnerungen den allgemeinen Gefühlsausdruck zu ergänzen und notwendige Übergänge der Empfindung gleichsam aus unsrer eigenen, immer rege erhaltenen Teilnahme zu bedingen.
Diese melodischen Momente, in denen wir uns der Ahnung erinnern, während sie uns die Erinnerung zur Ahnung machen, werden notwendig nur den wichtigsten Motiven des Dramas entblüht sein, und die wichtigsten von ihnen werden wiederum an Zahl denjenigen Motiven entsprechen, die der Dichter als zusammengedrängte, verstärkte Grundmotive der ebenso verstärkten und zusammengedrängten Handlung zu den Säulen seines dramatischen Gebäudes bestimmte, die er grundsätzlich nicht in verwirrender Vielheit, sondern in plastisch zu ordnender, für leichte Übersicht notwendig bedingter, geringerer Zahl verwendet. In diesen Grundmotiven, die eben nicht Sentenzen, sondern plastische Gefühlsmomente sind, wird die Absicht des Dichters, als eine durch das Gefühlsempfängnis verwirklichte, am verständlichsten; und der Musiker, als Verwirklicher der Absicht des Dichters, hat diese zu melodischen Momenten verdichteten Motive, im vollsten Einverständnisse mit der dichterischen Absicht , daher leicht so zu ordnen, daß in ihrer wohlbedingten wechselseitigen Wiederholung ihm ganz von selbst auch die höchste einheitliche musikalische Form entsteht – eine Form, wie sie der Musiker bisher willkürlich sich zusammenstellte, die aus der dichterischen Absicht aber erst zu einer notwendigen, wirklich einheitlichen, das ist: verständlichen , sich gestalten kann.
In der Oper hatte der Musiker bisher eine einheitliche Form für das ganze Kunstwerk gar nicht auch nur angestrebt: jedes einzelne Gesangsstück war eine ausgefüllte Form für sich, die mit den übrigen Tonstücken
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