Oper und Drama
Aufgabe, nämlich: den Ausdruck, den sie überhaupt schon zum Gegenstande des Ausdruckes gemacht hatte, wiederum durch sich selbst zu widerlegen; der Ausdruck, der ohne ausdruckswerten Gegenstand an und für sich nichtig war, wurde, im Streben dieser Gegenstand für sich selbst zu sein, wiederum verneint , so daß das Resultat unserer Welterschaffungstheorien, nach denen aus zwei Verneinungen das Etwas entstanden ist, von dem Opernkomponisten vollständig erreicht werden mußte. Wir empfehlen der deutschen Kritik den hieraus entstandenen Opernstil als »emanzipierte Metaphysik« .
Betrachten wir dies Verfahren etwas näher. –
Wollte der Komponist einen unmittelbar entsprechenden nackten Ausdruck geben, so konnte er dies mit dem besten Willen nicht anders als in der musikalischen Sprechweise, die uns heute eben als verständlicher musikalischer Ausdruck gilt; beabsichtigte er nun, diesem ein historisches Kolorit zu verleihen, und konnte er dies im Grunde nur dadurch für erreichbar halten, daß er ihm einen überhaupt fremdartigen, ungewohnten Beiklang gab, so stand ihm zunächst allerdings die Ausdrucksweise einer früheren musikalischen Epoche zu Gebote, die er nach Belieben nachahmen und von der er nach willkürlichem Ermessen entnehmen konnte. Auf diese Weise hat sich denn auch der Komponist aus allen irgend schmackhaften Stileigentümlichkeiten verschiedener Zeiten einen scheckigen Sprachjargon zusammengesetzt, der an und für sich seinem Streben nach Fremdartigkeit und Ungewohntheit nicht übel entsprechen konnte. Die musikalische Sprache, sobald sie sich vom ausdruckswerten Gegenstande loslöst und ohne Inhalt nach opernarienhafter Willkür ganz allein sprechen, d. h. eben nur singend und pfeifend plaudern will, ist für ihr Wesen aber so ganz und gar der bloßen Mode unterworfen, daß sie entweder nur dieser Mode sich unterordnen, oder im glücklichen Falle sie nur beherrschen, d. h. die neueste Mode ihr zuführen kann. Der Jargon, den somit der Komponist erfand, um – der historischen Absicht zulieb – fremdartig zu sprechen, wird, wenn er Glück macht, augenblicklich wiederum zur Mode, die, einmal angenommen, plötzlich gar nicht mehr fremdartig erscheint , sondern das Kleid ist, welches wir alle tragen, die Sprache, die wir alle sprechen. Der Komponist muß verzweifeln, sich durch seine eigenen Erfindungen somit immer wieder in dem Bestreben, fremdartig zu erscheinen, behindert zu sehen, und er muß notgedrungen daher auf ein Mittel verfallen, ein für allemal fremdartig zu erscheinen, sobald er seinen Beruf zur »historischen« Musik erfüllen will. Er muß daher ein für allemal darauf bedacht sein, selbst den entstelltesten Ausdruck – weil er einmal durch ihn zur modischen Gewohnheit gemacht worden ist – in sich wiederum zu entstellen: er muß sich vornehmen, genaugenommen, da »Nein« zu sagen, wo er eigentlich »Ja« sagen will, da sich freudig zu gebärden, wo er Schmerz ausdrücken soll, da jammernd zu wimmern, wo er sich behaglicher Lust hinzugeben hätte. Wahrlich, so und nicht anders ist es ihm möglich, in allen Fällen fremdartig, sonderbar, wie von Gottweißwoher kommend, zu erscheinen; er muß sich geradewegs verrückt stellen, um »historisch-charakteristisch« zu erscheinen. Hiermit ist denn auch in Wirklichkeit ein ganz neues Element gewonnen: der Drang zum »Historischen« hat zur hysterischen Verrücktheit geführt, und diese Verrücktheit ist zu unserer Freude bei Licht besehen gar nichts anderes als – wie nennen wir es gleich? – Neuromantik .
[ V ]
Der Verdrehung aller Wahrheit und Natur, wie wir sie für den musikalischen Ausdruck von den französischen sogenannten Neuromantikern ausüben sehen, war aus einem Gebiete der Tonkunst, das von der Oper vollkommen abseits lag, eine scheinbare Rechtfertigung, vor allem aber ein nährender Stoff zugeführt worden, die zusammen wir unter der Bezeichnung des Mißverständnisses Beethovens leicht begreifen können.
Sehr wichtig ist es, zu beachten, daß alles, was auf die Gestaltung der Oper bis in die neuesten Zeiten einen wirklichen und entscheidenden Einfluß ausübte, lediglich aus dem Gebiete der absoluten Musik , keineswegs aber aus dem der Dichtkunst, oder aus einem gesunden Zusammenwirken beider Künste, sich herleitete. Wie wir finden mußten, daß von Rossini an die Geschichte der Oper mit Bestimmtheit nur noch in die Geschichte der Opern melodie auslaufe, so sehen wir auch in der neuesten Zeit alle Einwirkung auf
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