Oper und Drama
gebrachte Dekorationsmaschinerie des Theaters, der stumme Prunk der Kulissen in bewegungsvollen Lärmen umgesetzt. »Prinz und Prinzessin« hatten mit dem besten Willen nichts mehr zu sagen als ihre tausendmal gehörten Schnörkelarien: man suchte das Thema endlich dadurch zu variieren, daß das ganze Theater von der Kulisse bis zum verhundertfachten Choristen diese Arie mitsang, und zwar – je höher die Wirkung steigen soll – gar nicht einmal mehr vielstimmig, sondern im wirklichen tobenden Einklange. In dem heutzutage so berühmt gewordenen »Unisono« enthüllt sich ganz ersichtlich der eigentliche Kern der Absicht der Massenanwendung, und im Sinne der Oper hören wir ganz richtig die Massen »emanzipiert«, wenn wir sie, wie in den berühmtesten Stellen der berühmtesten modernen Opern, die alte, abgedroschene Arie im hundertstimmigen Einklange vortragen hören. So hat unser heutiger Staat die Masse ebenfalls emanzipiert, wenn er sie in Soldatenuniform bataillonsweise aufmarschieren, links und rechts schwenken, schultern und präsentieren läßt: wenn die Meyerbeerschen »Hugenotten« sich zu ihrer höchsten Spitze erheben, hören wir an ihnen, was wir an einem preußischen Gardebataillon sehen . Deutsche Kritiker nennen's – wie gesagt – Emanzipation der Massen. –
Die so »emanzipierte« Umgebung war im Grunde genommen aber wieder auch nur eine Maske. Wenn wirklich charakteristisches Leben in den Hauptpersonen der Oper nicht vorhanden war, so konnte dies wahrlich dem massenhaften Apparate noch weniger eingegossen werden. Der Widerschein, der von diesem Apparate aus belebend auf die Hauptpersonen fallen sollte, konnte daher von irgendwelcher ergiebigen Wirkung nur dann sein, wenn auch die Maske der Umgebung von außen woher einen Anstrich erhielt, der über ihre innere Hohlheit täuschte. Diesen Anstrich gewann man aus dem historischen Kostüm , das das nationale Kolorit noch prägnanter machen mußte.
Man sollte annehmen, hier, beim Einmischen des historischen Motives, habe nun dem Dichter die Aufgabe zugeteilt werden müssen, entscheidend in die Gestaltung der Oper einzugreifen. Leicht dürfen wir aber unseren Irrtum einsehen, wenn wir bedenken, welchen Gang bisher die Fortbildung der Oper genommen hatte, wie sie alle Phasen ihrer Entwickelung nur dem verzweifelten Streben des Musikers, sein Werk am künstlichen Dasein zu erhalten, verdanken mußte, und selbst zur Verwendung historischer Motive nicht durch ein als notwendig empfundenes Verlangen, sich an den Dichter zu ergeben, sondern durch den Drang rein musikalischer Umstände hingewiesen ward – durch einen Drang, der wiederum nur aus der ganzen unnatürlichen Aufgabe des Musikers, im Drama Absicht und Ausdruck zugleich geben zu sollen, hervorging. Wir werden später auf die Stellung des Dichters zu unserer modernsten Oper noch zurückkommen; für jetzt verfolgen wir ungestört vom Standpunkte des wirklichen Faktors der Oper, des Musikers, aus, bis wohin sein irriges Streben ihn führen mußte.
Der Musiker, der – mochte er sich gebärden, wie er wollte – nur Ausdruck und nichts als Ausdruck geben konnte, mußte ganz in dem Maße auch das wirkliche Vermögen zu gesundem und wahrem Ausdrucke verlieren, als er den Gegenstand seines Ausdruckes, in seinem verkehrten Eifer, diesen Gegenstand selbst zu zeichnen, selbst zu dichten, zum grundsätzlich matten und inhaltslosen Schema herabwürdigte. Hatte er nicht vom Dichter den Menschen verlangt, sondern vom Mechaniker den Gliedermann , den er mit seinen Gewändern nach Belieben drapierte, um durch den Farbenreiz und die Anordnung dieser Gewänder allein zu entzücken, so mußte er nun, da er das warme Pulsieren des menschlichen Leibes an dem Gliedermanne unmöglich darstellen konnte, bei somit immer größerer Verarmung seiner Ausdrucksmittel endlich nur noch auf unerhört mannigfaltige Variation in den Farben und Falten seiner Gewänder bedacht sein. Das historische Gewand der Oper – das ergiebigste, weil es nach Klima und Zeitalter auf das bunteste zu wechseln imstande war – ist aber eigentlich doch nur das Werk des Dekorationsmalers und Theaterschneiders, wie diese beiden Faktoren denn in Wahrheit die allerwichtigsten Bundesgenossen des modernen Opernkomponisten geworden sind. Allein auch der Musiker unterließ es nicht, seine Tonfarbenpalette für das historische Kostüm herzurichten; wie hätte er, der Schöpfer der Oper, der sich den Dichter zum Bedienten gemacht hatte, den Maler und
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