Oper und Drama
Schneider nicht auch ausstechen sollen? Hatte er das ganze Drama, mit Handlung und Charakteren, in Musik aufgelöst, wie sollte es ihm unmöglich bleiben, auch die Zeichnungen und Farben des Malers und Schneiders musikalisch zu Wasser zu machen? Er vermochte es, alle Dämme niederzureißen, alle Schleußen zu öffnen, die das Meer vom Lande trennen, und so in der Sündflut seiner Musik das Drama mit Mann und Maus, mit Pinsel und Schere zu ersäufen!
Der Musiker mußte aber auch die ihm prädestinierte Aufgabe erfüllen, der deutschen Kritik, für die Gottes allgütige Fürsorge bekanntlich die Kunst geschaffen hat, die Freude des Geschenkes einer »historischen Musik« zu machen. Sein hoher Ruf begeisterte ihn, gar bald das Richtige zu finden.
Wie mußte eine »historische« Musik sich anhören, wenn sie die Wirkung einer solchen machen sollte? Jedenfalls anders als eine nicht historische Musik. Worin lag hier aber der Unterschied? Offenbar darin, daß die »historische« Musik von der gegenwärtig gewöhnten so verschieden sei als das Kostüm einer früheren Zeit von dem der Gegenwart. War es nicht das Klügste, genau so, wie man das Kostüm dem betreffenden Zeitalter getreu nachahmte, auch die Musik diesem Zeitalter zu entnehmen? Leider ging dies nicht so leicht, denn in jenen, im Kostüm so pikanten Zeitaltern, gab es barbarischerweise noch keine Opern: eine allgemeine Opernsprache war ihnen daher nicht zu entnehmen. Dagegen sang man damals in den Kirchen , und diese Kirchengesänge haben in der Tat, wenn man sie heute plötzlich singen läßt, unserer Musik gegenübergehalten, etwas schlagend Fremdartiges. Vortrefflich! Kirchengesänge her! Die Religion muß aufs Theater wandern! – So ward die musikalisch historische Kostümnot zur christlich religiösen Operntugend. Für das Verbrechen des Raubes der Volksmelodie verschaffte man sich römisch-katholische und evangelisch-protestantische Kirchenabsolution, und zwar gegen die Wohltat, die man der Kirche dadurch erwies, daß, wie zuvor die Massen, nun auch die Religion – um im Ausdrucke der deutschen Kritik konsequent zu bleiben – durch die Oper »emanzipiert« wurde.
So ward der Opernkomponist vollständig zum Erlöser der Welt, und in dem tiefbegeisterten, von selbstzerfleischendem Schwärmereifer unwiderstehlich hingerissenen Meyerbeer haben wir jedenfalls den modernen Heiland, das weltsündentragende Lamm Gottes zu erkennen.
Dennoch konnte diese entsündigende »Emanzipation der Kirche« nur bedingungsweise vom Musiker vollzogen werden. Wollte die Religion durch die Oper beseligt sein, so mußte sie sich gefallen lassen, nur einen gewissen, vernünftigerweise ihr zugehörigen Platz unter den übrigen Emanzipierten einzunehmen. Die Oper, als Befreierin der Welt, mußte die Religion beherrschen, nicht die Religion die Oper; sollte die Oper zur Kirche werden, so war die Religion ja nicht von der Oper, sondern diese von ihr emanzipiert. Für die Reinheit des musikalisch-historischen Kostümes hätte es der Oper allerdings erwünscht sein können, nur noch mit der Religion zu tun zu haben, denn die einzig verwendbare historische Musik fand sich nur in der Kirchenmusik vor. Nur mit Mönchen und Pfaffen zu tun zu haben hätte aber der Heiterkeit der Oper empfindlich schaden müssen: denn das, was durch die Emanzipation der Religion nur verherrlicht werden sollte, war ja eigentlich nur die Opernarie, dieser üppig entfaltete Urkeim alles Opernwesens, der keineswegs im Verlangen nach andächtiger Sammlung, sondern nach unterhaltender Zerstreuung wurzelte. Genaugenommen war die Religion nur als Beischmack zu verwenden, ganz wie im wohlgeordneten Staatsleben: das Hauptgewürz mußte »Prinz und Prinzessin«, nebst gehöriger Zutat von Spitzbuben, Hofchor und Volkschor, Kulissen und Kleidern bleiben.
Wie war nur auch dies ganze hochwürdige Opernkollegium in historische Musik umzusetzen? –
Hier eröffnete sich dem Musiker das unabsehbar graue Nebelfeld reiner, absoluter Erfindung: die Aufforderung zum Erschaffen aus Nichts . Sieh da, wie schnell er mit sich einig wurde! Er hatte nur dafür zu sorgen, daß die Musik immer ein wenig anders klinge, als man der Gewohnheit nach annehmen müsse, daß sie zu klingen hätte, so klang jedenfalls seine Musik fremdartig , und ein richtiger Schnitt des Theaterschneiders genügte, um sie vollständig »historisch« zu machen.
Die Musik, als reichstes Vermögen des Ausdruckes, erhielt nun eine ganz neue, ungemein pikante
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