Oper und Drama
Organen schwebt; nicht aus der zeugenden Kraft dieser Organe stieg sein Produktionsvermögen durch die Rede zum musikalischen Ausdruck hinauf, sondern vom losgelösten musikalischen Ausdruck ging er zur Rede erst zurück, nur um diesen Ausdruck in seiner Unbegründetheit irgendwie zu rechtfertigen. So konnte Gluck jede Sprache gleichgültig sein, weil es ihm eben nur auf die Rede ankam: hätte die Musik in dieser transzendenten Richtung durch die Rede auch bis auf den Organismus der Sprache selbst durchdringen können, so hätte sie allerdings sich vollkommen umgestalten müssen. – Ich muß, um den Gang meiner Darstellung hier nicht zu unterbrechen, diesen äußerst wichtigen Gegenstand zu einer gründlichen Erörterung am geeigneten Orte meiner Schrift aufbewahren; für hier genüge es, den Umstand der Beachtung zu empfehlen, daß Gluck es auf die lebendige Rede überhaupt – gleichviel in welcher Sprache – ankam, da er in ihr allein eine Rechtfertigung für die Melodie fand; seit Rossini war diese Rede aber gänzlich durch die absolute Melodie aufgezehrt, nur ihr materiellstes Gerüst diente in Vokalen und Konsonanten als Anhaltestoff des musikalischen Tones. Meyerbeer war durch seine Gleichgültigkeit gegen den Geist jeder Sprache und durch sein hierauf begründetes Vermögen, ihr Äußerliches mit leichter Mühe sich zu eigen zu machen (eine Fähigkeit, die durch unsre moderne Bildung dem Wohlstande überhaupt zugeführt ist), ganz darauf hingewiesen, es nur mit der absoluten, von allem sprachlichen Zusammenhange losgelösten Musik zu tun zu haben. Außerdem war er dadurch fähig, überall an Ort und Stelle den Erscheinungen in dem bezeichneten Entwickelungsgange der Opernmusik zuzusehen: er folgte immer und überallhin seinen Schritten. Beachtenswert ist es vor allem, daß er diesem Gange eben nur folgte , nie aber mit ihm, geschweige denn ihm irgendwie vorausging. Er glich dem Stare, der dem Pflugschare auf dem Felde folgt und aus der soeben aufgewühlten Ackerfurche lustig die an die Luft gesetzten Regenwürmer aufpickt. Nicht eine Richtung ist ihm eigentümlich, sondern jede hat er nur seinem Vorgänger abgelauscht und mit ungeheurer Ostentation ausgebeutet, und zwar mit so erstaunlicher Schnelligkeit, daß der Vormann, dem er lauschte, kaum ein Wort ausgesprochen hatte, als er auch die ganze Phrase auf dieses Wort bereits ausschrie, unbekümmert, ob er den Sinn dieses Wortes richtig verstanden hatte, woher es denn gemeiniglich kam, daß er eigentlich doch immer etwas anderes sagte, als was der Vormann hatte aussprechen wollen; der Lärmen, den die Meyerbeersche Phrase machte, war aber so betäubend, daß der Vormann gar nicht mehr zum Kundgeben des eigentlichen Sinnes seiner Worte kam: mochte er wollen oder nicht, er mußte endlich, um nur auch mitreden zu dürfen, in jene Phrase selbst miteinstimmen.
In Deutschland einzig gelang es Meyerbeer nicht, eine Jugendphrase aufzufinden, die irgendwie auf das Webersche Wort gepaßt hätte: was Weber in melodischer Lebensfülle kundgab, konnte sich in Meyerbeers angelerntem, trockenem Formalismus nicht nachsprechen lassen. Er lauschte, der unergiebigen Mühe überdrüssig, freundes-verräterisch endlich nur noch den Rossinischen Sirenenklängen, und zog in das Land, wo diese Rosinen gewachsen waren. So wurde er zur Wetterfahne des europäischen Opernmusikwetters, die sich immer beim Windwechsel erst eine Zeitlang unschlüssig um und um dreht, bis sie, erst nach dem Feststehen der Windrichtung, auch selbst still haftet. So komponierte Meyerbeer in Italien grade auch nur so lange Opern à la Rossini, bis in Paris der große Wind sich zu drehen anfing und Auber und Rossini mit »Stumme« und »Tell« den neuen Wind bis zum Sturm anbliesen! Wie schnell war Meyerbeer in Paris! Dort aber fand er in dem französisch aufgegriffenen Weber (man denke an »Robin des bois«) und dem verberliozten Beethoven Momente vor, die weder Auber noch Rossini, als ihnen zu fern abliegend, beachtet hatten, die aber Meyerbeer vermöge seiner Allerweltskapazität sehr richtig zu würdigen verstand. Er faßte alles, was sich ihm so darbot, in eine ungeheuer buntgemischte Phrase zusammen, vor deren grellem Aufschrei plötzlich Auber und Rossini nicht mehr gehört wurden: der grimmige Teufel »Robert« holte sie alle miteinander.
– Es hat etwas so tief Betrübendes, beim Überblicke unsrer Operngeschichte nur von den Toten Gutes reden zu können, die Lebenden aber mit schonungsloser
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