Oper und Drama
Mosaik in den Augen Webers selbst nur durch den Worttext gerechtfertigt erscheinen, so war auf der einen Seite das Publikum – und zwar hier mit vollem Rechte – durchaus gleichgültig gegen die Textworte; auf der andern Seite aber mußte es sich wieder herausstellen, daß dieser Text doch nicht einmal vollkommen entsprechend in der Musik wiedergegeben war. Grade diese unzeitige, halbe Melodie wandte die Aufmerksamkeit des Zuhörers vom Worttexte ab und der Spannung auf die Bildung einer Melodie zu, die in Wahrheit aber nicht zustande kam – so daß dem Zuhörer das Verlangen nach Darlegung eines dichterischen Gedankens im voraus erstickt, der Genuß einer Melodie aber um so empfindlicher geschmälert wurde, als das Verlangen nach ihr erweckt, nicht aber erfüllt worden war. Außer da, wo in der »Euryanthe« der Tonsetzer nach künstlerischem Ermessen seine volle natürliche Melodie für gerechtfertigt halten durfte, sehen wir in demselben Werke zugleich nur da sein höheres künstlerisches Streben mit wirklichem und schönem Erfolge gekrönt, wo er – der Wahrheit zuliebe – der absoluten Melodie gänzlich entsagt, und – wie in der Anfangsszene des ersten Aktes – durch den edelsten und treuesten musikalischen Ausdruck die gefühlvolle dramatische Rede, als solche, selbst wiedergibt; wo er somit die Absicht seines eigenen künstlerischen Schaffens nicht mehr in die Musik, sondern in die Dichtung setzt, und die Musik nur zur Förderung dieser Absicht verwendet, welche in solcher Fülle und überzeugender Wahrheit wiederum nur durch die Musik zu ermöglichen war.
Die »Euryanthe« ist von der Kritik nicht in dem Maße beachtet worden, als sie es ihres ungemein lehrreichen Inhaltes wegen verdient. Das Publikum sprach sich unentschieden, halb angeregt, halb verstimmt aus: die Kritik, die, im Grunde genommen, immer nur nach der Stimme des Publikums horcht, um – je nach ihrer vorgefaßten Meinung – sich entweder ganz nach ihr und dem äußeren Erfolge zu richten, oder auch sie blindlings zu bekämpfen, hat es nie vermocht, die grundverschiedenen Elemente, die sich in diesem Werke auf das widerspruchsvollste berühren, klar zu sichten und aus dem Streben des Komponisten, sie zu einem harmonischen Ganzen zu vereinigen, seine Erfolglosigkeit zu rechtfertigen. Nie ist aber, solange es Opern gibt, ein Werk verfaßt worden, in welchem die inneren Widersprüche des ganzen Genres von einem gleich begabten, tief empfindenden und wahrheitliebenden Tonsetzer, bei edelstem Streben, das Beste zu erreichen, konsequenter durchgeführt und offener dargelegt worden sind. Diese Widersprüche sind: absolute, ganz für sich allein genügende Melodie, und – durchgehends wahrer dramatischer Ausdruck . Hier mußte notwendig eines geopfert werden – die Melodie oder das Drama. Rossini opferte das Drama; der edle Weber wollte es durch die Kraft seiner sinnigeren Melodie wieder herstellen. Er mußte erfahren, daß dies unmöglich sei. Müde und erschöpft von der qualvollen Mühe seiner »Euryanthe«, versenkte er sich in die weichen Polster eines orientalischen Märchentraumes; durch das Wunderhorn Oberons stieß er seinen letzten Lebenshauch aus.
Was dieser edle, liebenswürdige Weber, durchglüht von dem heiligen Glauben an die Allmacht seiner reinen, dem schönsten Volksgeiste abgewonnenen Melodie, erfolglos erstrebt hatte, das unternahm nun ein Jugendfreund Webers, Jakob Meyerbeer , vom Standpunkte der Rossinischen Melodie aus zu bewerkstelligen.
Meyerbeer machte alle Phasen der Entwickelung dieser Melodie mit durch, und zwar nicht aus abstrakter Ferne, sondern in ganz realer Nähe, immer an Ort und Stelle. Als Jude hatte er keine Muttersprache, die mit dem Nerve seines innersten Wesens untrennbar verwachsen gewesen wäre: er sprach mit demselben Interesse in jeder beliebigen modernen Sprache und setzte sie ebenso in Musik, ohne alle andere Sympathie für ihre Eigentümlichkeiten als die für ihre Fähigkeit, der absoluten Musik nach Belieben untergeordnet zu werden. Diese Eigenschaft Meyerbeers hat ihn mit Gluck vergleichen lassen; auch dieser komponierte als Deutscher italienische und französische Operntexte. In der Tat hat Gluck nicht aus dem Instinkte der Sprache (die in solchem Falle immer nur die Muttersprache sein kann), heraus seine Musik geschaffen; worauf es ihm bei seiner Stellung als Musiker zur Sprache ankam, war die Rede , wie sie als Äußerung des Sprachorganismus auf der Oberfläche dieser tausende von
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