Oper und Drama
unsinnigsten Verwirrung, Charaktere von der lächerlichsten Fratzenhaftigkeit. Dies konnte nicht mit natürlichen Dingen zugehen: so leicht gibt sich ein nüchterner Verstand wie der Scribes nicht zu Experimenten der Verrücktheit her. Scribe mußte selbst erst verdreht gemacht werden, ehe er einen »Robert der Teufel« zutage förderte; er mußte erst allen gesunden Sinnes für dramatische Handlung beraubt werden, ehe er in den »Hugenotten« sich zum bloßen Kompilator dekorativer Nuancen und Kontraste hergab; er mußte gewaltsam in die Mysterien historischer Spitzbubenschaft eingeweiht werden, ehe er sich zu einem »Propheten« der Gauner bestimmen ließ. –
Wir erkennen hier einen ähnlichen bestimmenden Einfluß des Komponisten auf den Dichter, wie ihn Weber bei seiner »Euryanthe« auf deren Dichterin ausübte: aber aus welch grundverschiedenen Motiven! Weber wollte ein Drama hergestellt haben, das überall, mit jeder szenischen Nuance in seine edle, seelenvolle Melodie aufzugehen vermochte – Meyerbeer wollte dagegen ein ungeheuer buntscheckiges, historisch-romantisches, teuflisch-religiöses, bigott-wollüstiges, frivol-heiliges, geheimnisvoll-freches, sentimental-gaunerisches, dramatisches Allerlei haben, um an ihm erst Stoff zum Auffinden einer ungeheuer kuriosen Musik zu gewinnen – was ihm wegen des unbesieglichen Leders seines eigentlichen musikalischen Naturelles wiederum nie wirklich recht gelingen wollte. Er fühlte, daß aus all dem aufgespeicherten Vorrate musikalischer Effektmittel etwas noch gar nicht Dagewesenes zustande zu bringen war, wenn er aus allen Winkeln zusammengekehrt, auf einen Haufen in krauser Verwirrung geschichtet, mit theatralischem Pulver und Kolophonium versetzt, und nun mit ungeheurem Knall in die Luft gesprengt würde. Was er daher von seinem Dichter verlangte, war gewissermaßen eine Inszenesetzung des Berliozschen Orchesters, nur – wohlgemerkt! – mit demütigendster Herabstimmung desselben zur seichten Basis Rossinischer Gesangstriller und Fermaten – der »dramatischen« Oper wegen. Alle vorrätigen musikalischen Wirkungselemente durch das Drama etwa zu einem harmonischen Einklange zu bringen hätte ihm für seine Absicht höchst fehlerhaft erscheinen müssen; denn Meyerbeer war kein idealistischer Schwärmer, sondern mit klugem, praktischem Blicke auf das moderne Opernpublikum übersah er, daß er durch harmonischen Einklang niemand für sich gewonnen haben würde, dagegen durch ein zerstreutes Allerlei eben auch alle befriedigen müßte, nämlich jeden auf seine Weise. Nichts war ihm daher wichtiger als wirre Buntheit und buntes Durcheinander, und der lustige Scribe mußte blutschwitzend ihm den dramatischen Wirrwarr auf das Allerberechnetste zusammenstellen, vor dem nun der Musiker mit kaltblütiger Sorge stand, ruhig überlegend, auf welches Stück Unnatur irgendein Fetzen aus seiner musikalischen Vorratskammer so auffallend und schreiend wie möglich passen dürfte, um ganz ungemein seltsam und daher – »charakteristisch« – zu erscheinen.
So entwickelte er in den Augen unserer Kunstkritik das Vermögen der Musik zu historischer Charakteristik , und brachte es bis dahin, daß ihm als feinste Schmeichelei gesagt wurde, die Texte seiner Opern seien sehr schlecht und erbärmlich, aber was verstünde dagegen seine Musik aus diesem elenden Zeuge zu machen ! – So war der vollste Triumph der Musik erreicht: der Komponist hatte den Dichter in Grund und Boden ruiniert, und auf den Trümmern der Operndichtkunst ward der Musiker als eigentlicher wirklicher Dichter gekrönt! –
Das Geheimnis der Meyerbeerschen Opernmusik ist – der Effekt . Wollen wir uns erklären, was wir unter diesem »Effekte« zu verstehen haben, so ist es wichtig, zu beachten, daß wir uns gemeinhin des näherliegenden Wortes »Wirkung« hierbei nicht bedienen. Unser natürliches Gefühl stellt sich den Begriff »Wirkung« immer nur im Zusammenhange mit der vorhergehenden Ursache vor: wo wir nun, wie im vorliegenden Falle, unwillkürlich zweifelhaft darüber sind, ob ein solcher Zusammenhang bestehe, oder wenn wir sogar darüber belehrt sind, daß ein solcher Zusammenhang gar nicht vorhanden sei, so sehen wir in der Verlegenheit uns nach einem Worte um, das den Eindruck, den wir z. B. von Meyerbeerschen Musikstücken erhalten zu haben vermeinen, doch irgendwie bezeichne, und so wenden wir ein ausländisches, unserem natürlichen Gefühle nicht unmittelbar nahestehendes Wort, wie
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