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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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höher und höher erregte Stimmung verdrängt, die endlich nur noch Gefühlsstimmung bleibt. In dieser Stimmung bezieht der Mensch die Natur unbewußt wiederum auf sich , denn sein individuell menschliches Gefühl gab ihm eben die Stimmung, in welcher er die Natur nach einem bestimmten Eindrucke empfand. In höchster Gefühlserregtheit ersieht der Mensch in der Natur ein teilnehmendes Wesen, wie sie denn in Wahrheit in dem Charakter ihrer Erscheinung auch den Charakter der menschlichen Stimmung ganz unausweichlich bestimmt. Nur bei voller egoistischer Kälte des Verstandes vermag er sich ihrer unmittelbaren Einwirkung zu entziehen – wiewohl er sich auch dann sagen muß, daß ihr mittelbarer Einfluß ihn doch immer bestimmt. – In großer Erregtheit gibt es für den Menschen aber auch keinen Zufall mehr in der Begegnung mit natürlichen Erscheinungen: die Äußerungen der Natur, die aus einem wohlbegründeten organischen Zusammenhange von Erscheinungen unser gewöhnliches Leben mit scheinbarer Willkür berühren, gelten uns bei gleichgültiger oder egoistisch befangener Stimmung, in der wir entweder nicht Lust oder nicht Zeit haben, über ihre Begründung in einem natürlichen Zusammenhange nachzudenken, als Zufall, den wir je nach der Absicht unseres menschlichen Vorhabens als günstig zu verwenden oder als ungünstig abzuwenden uns bemühen. Der Tieferregte, wenn er plötzlich aus seiner inneren Stimmung zu der umgebenden Natur sich wendet, findet, je nach ihrer Kundgebung, entweder eine steigernde Nahrung oder eine umwandelnde Anregung für seine Stimmung in ihr. Von wem er sich auf diese Weise beherrscht oder unterstützt fühlt, dem teilt er ganz in dem Maße eine große Macht zu, als er sich selbst in großer Stimmung befindet. Seinen eigenen empfundenen Zusammenhang mit der Natur fühlt er unwillkürlich auch in einem großen Zusammenhange der gegenwärtigen Naturerscheinungen mit sich, mit seiner Stimmung, ausgedrückt; seine durch sie genährte oder umgewandelte Stimmung erkennt er in der Natur wieder, die er somit in ihren mächtigsten Äußerungen so auf sich bezieht, wie er sich durch sie bestimmt fühlt. In dieser von ihm empfundenen großen Wechselwirkung – drängen sich vor seinem Gefühle die Erscheinungen der Natur zu einer bestimmten Gestalt zusammen, der er eine individuelle, ihrem Eindrucke auf ihn und seiner eigenen Stimmung entsprechende Empfindung, und endlich auch – ihm verständliche Organe, diese Empfindung auszusprechen, beilegt. Er spricht dann mit der Natur, und sie antwortet ihm. – Versteht er in diesem Gespräche die Natur nicht besser als der Betrachter derselben durch das Mikroskop? Was versteht dieser von der Natur als das, was er nicht zu verstehen braucht? Jener vernimmt aber das von ihr, was ihm in der höchsten Erregtheit seines Wesens notwendig ist, und worin er die Natur nach einem unendlich großen Umfange versteht, und zwar gerade so versteht, wie der umfassendste Verstand sie sich nicht vergegenwärtigen kann. Hier liebt der Mensch die Natur; er adelt sie und erhebt sie zur sympathetischen Teilnehmerin an der höchsten Stimmung des Menschen, dessen physisches Dasein sie unbewußt aus sich bedang. [Fußnote: Was sind tausend der schönsten arabischen Hengste ihren Käufern, die sie auf englischen Pferdemärkten nach ihrem Wuchse und ihrer nützlichen Eigenschaft prüfen, gegen das, was sein Roß Xanthos dem Achillus war, als es ihn vor dem Tode warnte? Wahrlich, ich tausche dieses weissagende Roß des göttlichen Renners nicht gegen Alexanders hochgebildeten Bukephalos , der bekanntlich dem Pferdeporträt des Apelles die Schmeichelei erwies, es anzuwiehern! ]
    Wollen wir nun das Werk des Dichters nach dessen höchstem denkbaren Vermögen genau bezeichnen, so müssen wir es
den aus dem klarsten menschlichen Bewußtsein gerechtfertigten, der Anschauung des immer gegenwärtigen Lebens entsprechend neu erfundenen und im Drama zur verständlichsten Darstellung gebrachten Mythos
    nennen. –
    Wir haben uns nur noch zu fragen, durch welche Ausdrucksmittel dieser Mythos am verständlichsten im Drama darzustellen ist, und müssen hierzu auf das Moment des ganzen Kunstwerkes zurückgehen, das es seinem Wesen nach bedingt, und dies ist die notwendige Rechtfertigung der Handlung aus ihren Motiven , für die sich der dichtende Verstand an das unwillkürliche Gefühl wendet, um in dessen unerzwungener Mitempfindung das Verständnis für sie zu begründen. Wir sahen, daß die für

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