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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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das praktische Verständnis notwendige Verdichtung der mannigfaltigen und in der realen Wirklichkeit unermeßlich weit verzweigten Handlungsmomente aus dem Verlangen des Dichters bedingt war, einen großen Zusammenhang von Erscheinungen des menschlichen Lebens darzustellen, aus welchem einzig die Notwendigkeit dieser Erscheinungen begriffen werden kann. Diese Verdichtung konnte er, um seinem Hauptzwecke zu entsprechen, nur dadurch ermöglichen, daß er in die Motive der für die wirkliche Darstellung bestimmten Momente der Handlung alle die Motive, die den ausgeschiedenen Handlungsmomenten zugrunde lagen, mit aufnahm und diese Aufnahme dadurch vor dem Gefühle rechtfertigte, daß er sie als eine Verstärkung der Hauptmotive erscheinen ließ, die aus sich heraus wieder eine Verstärkung der ihnen entsprechenden Handlungsmomente bedangen. Wir sahen endlich, daß diese Verstärkung des Handlungsmomentes nur durch Erhöhung desselben über das gewöhnliche menschliche Maß, durch Dichtung des – der menschlichen Natur wohl vollkommen entsprechenden, ihre Fähigkeiten aber in erregtester, dem gewöhnlichen Leben unerreichbarer Potenz steigernden – Wunders erreicht werden konnte – des Wunders, welches nicht außerhalb des Lebens stehen, sondern gerade aus ihm nur so hervorragen soll, daß es sich über dem gewöhnlichen Leben hin kenntlich macht –, und haben jetzt uns nur noch genau darüber zu verständigen, worin die Verstärkung der Motive bestehen soll , die jene Verstärkung der Handlungsmomente aus sich zu bedingen haben.
    Was heißt in dem dargelegten Sinne »Verstärkung der Motive«?
    Unmöglich kann hierunter – wie wir bereits sahen – eine Häufung der Motive gemeint sein, weil diese, ohne mögliche Äußerung als Handlung, dem Gefühle unverständlich und selbst dem Verstande – wenn selbst erklärlich – doch ohne Rechtfertigung bleiben müßten. Viele Motive bei gedrängter Handlung können nur klein, launenhaft und unwürdig erscheinen und unmöglich anders als in der Karikatur zu einer großen Handlung verwendet werden. Die Verstärkung eines Motives kann daher nicht in einer bloßen Hinzufügung kleinerer Motive zu ihm bestehen, sondern in dem vollkommenen Aufgehen vieler Motive in dieses eine . Das verschiedenen Menschen zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umständen eigene und je nach diesen Verschiedenheiten sich besonders gestaltende Interesse soll – sobald diese Menschen, Zeiten und Umstände im Grunde von typischer Ähnlichkeit sind und an sich eine Wesenheit der menschlichen Natur dem beschauenden Bewußtsein deutlich machen – zu dem Interesse eines Menschen zu einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Umständen gemacht werden. Alles äußerlich Verschiedene soll in dem Interesse dieses Menschen zu einem Bestimmten erhoben werden, in welchem sich das Interesse aber nach seinem größten und erschöpfendsten Umfange kundgeben muß. Dies heißt aber nichts anderes, als diesem Interesse alles Partikularistische, Zufällige entnehmen und es in seiner vollen Wahrheit als notwendigen, reinmenschlichen Gefühlsausdruck geben. Eines solchen Gefühlsausdruckes ist der Mensch unfähig, der über sein notwendiges Interesse mit sich noch nicht einig ist; dessen Empfindung noch nicht den Gegenstand gefunden hat, der sie zu einer bestimmten, notwendigen Äußerung drängt, sondern vor machtlosen, zufälligen, unsympathetischen äußeren Erscheinungen sich noch in sich selbst zersplittert. Tritt diese machtvolle Erscheinung aus der Außenwelt aber an ihn hinan, die ihn entweder so feindselig fremd berührt, daß er seine volle Individualität zu ihrem Abstoße von sich zusammenballt, oder mit solcher Unwiderstehlichkeit anzieht, daß er sich mit seiner ganzen Individualität in sie aufzugehen sehnt – so wird auch sein Interesse bei vollster Bestimmtheit ein so umfangreiches, daß es alle seine sonstigen zersplitterten, unkräftigen Interessen in sich aufnimmt und vollständig verzehrt.
    Das Moment dieser Verzehrung ist der Akt, den der Dichter vorzubereiten hat, um ein Motiv derart zu verstärken, daß aus ihm ein starker Handlungsmoment hervorgehen kann; und diese Vorbereitung ist das letzte Werk seiner gesteigerten Tätigkeit. Bis hierher reicht sein Organ, das des dichtenden Verstandes, die Wortsprache aus; denn bis hierher hatte er Interessen darzulegen, an deren Deutung und Gestaltung ein notwendiges Gefühl noch keinen Anteil nahm, die aus gegebenen Umständen von außen her

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