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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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wunderbarer Gestaltung verdichten – die Eigenschaften unendlich zerstreuter Momente des Raumes und der Zeit ebenso zu dem Inhalte einer gesteigerten Eigenschaft machen, wie er die zerstreuten Motive zu einem Hauptmotive sammelte, und die Äußerung dieser Eigenschaft ebenso steigern, wie er die Handlung aus jenem Motive verstärkte. Selbst die ungewöhnlichsten Gestaltungen, die bei diesem Verfahren der Dichter vorzuführen hat, werden in Wahrheit nie unnatürliche sein, weil in ihnen nicht das Wesen der Natur entstellt, sondern nur ihre Äußerungen zu einem übersichtlichen, dem künstlerischen Menschen einzig verständlichen Bilde zusammengefaßt sind. Die dichterische Kühnheit, die die Äußerungen der Natur zu solchem Bilde zusammenfaßt, kann gerade erst uns mit Erfolge zu eigen sein, weil wir eben durch die Erfahrung über das Wesen der Natur aufgeklärt sind .
    Solange die Erscheinungen der Natur den Menschen nur erst ein Objekt der Phantasie waren, mußte die menschliche Einbildungskraft ihnen auch unterworfen sein: ihr Scheinwesen beherrschte und bestimmte sie auch für die Anschauung der menschlichen Erscheinungswelt in der Weise, daß sie das Unerklärliche – nämlich: das Unerklärte – in ihr aus der willkürlichen Bestimmung einer außernatürlichen und außermenschlichen Macht herleiteten, die endlich im Mirakel Natur und Mensch zugleich aufhob. Als Reaktion gegen den Mirakelglauben machte sich dann selbst an den Dichter die rationell prosaische Forderung geltend, dem Wunder auch für die Dichtung entsagen zu sollen, und zwar geschah dies in den Zeiten, wo die bis dahin nur mit dem Auge der Phantasie betrachteten natürlichen Erscheinungen zum Gegenstande wissenschaftlicher Verstandesoperationen gemacht wurden. So lange war aber auch der wissenschaftliche Verstand über das Wesen dieser Erscheinungen nicht mit sich im reinen, als er nur in der anatomischen Aufdeckung all ihrer innerlichen Einzelnheiten sie als begreiflich sich darstellen zu können glaubte: erst von da an sind wir über sie im gewissen, wo wir die Natur als einen lebendigen Organismus, nicht als einen aus Absicht konstruierten Mechanismus, erkannt haben; wo wir darüber klar wurden, daß sie nicht geschaffen , sondern selbst das immer Werdende ist; daß sie das Zeugende und Gebärende als Männliches und Weibliches zugleich in sich schließt; daß Raum und Zeit, von denen wir sie umschlossen hielten, nur Abstraktionen von ihrer Wirklichkeit sind; daß wir ferner an diesem Wissen im allgemeinen uns genügen lassen können, weil wir zu seiner Bestätigung nicht mehr nötig haben, uns der weitesten Fernen durch mathematischen Kalkül zu versichern, da wir in allernächster Nähe und an der geringsten Erscheinung der Natur die Beweise für dasselbe finden können, was uns aus weitester Ferne nur zur Bestätigung unseres Wissens von der Natur zugeführt zu werden vermag. Seitdem wissen wir aber auch, daß wir zum Genusse der Natur da sind, weil wir sie genießen können , d. h. zu ihrem Genusse fähig sind. Der vernünftigste Genuß der Natur ist aber der, der unsere universelle Genußfähigkeit befriedigt: in der Universalität der menschlichen Empfängnisorgane, und in ihrer höchsten Steigerungsfähigkeit für den Genuß, liegt einzig das Maß. nach welchem der Mensch zu genießen hat, und der Künstler, der sich dieser höchsten Genußfähigkeit mitteilt, hat daher aus diesem Maße einzig auch das Maß der Erscheinungen zu nehmen, die er nach ihrem Zusammenhange ihm mitteilen will, und dieses braucht sich nur insofern nach den Äußerungen der Natur in ihren Erscheinungen zu richten, als sie ihrem inhaltlichen Wesen zu entsprechen haben, welches der Dichter durch Steigerung und Verstärkung nicht entstellt, sondern – eben in seiner Äußerung – nur zu dem Maße zusammendrängt, das dem Maße des erregtesten menschlichen Verlangens nach dem Verständnisse eines größesten Zusammenhanges entspricht. Gerade das vollste Verständnis des Wesens der Natur ermöglicht es erst dem Dichter, ihre Erscheinungen in wunderhafter Gestaltung uns vorzuführen, denn nur in dieser Gestaltung werden sie als Bedingungen gesteigerter menschlicher Handlungen uns verständlich.
    Die Natur in ihrer realen Wirklichkeit sieht nur der Ver stand , der sie in ihre einzelnsten Teile zersetzt ; will er diese Teile in ihrem lebenvollen organischen Zusammenhange sich darstellen, So wird die Ruhe der Betrachtung des Verstandes unwillkürlich durch eine

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