Oper und Drama
verschiedenartig beeinflußt wurden, ohne daß hieraus nach innen in einer Weise bestimmend eingewirkt ward, durch die das innere Gefühl zu einer notwendigen, wiederum nach außen bestimmenden, wahllosen Tätigkeit gedrängt worden wäre. Hier ordnete noch der kombinierende, in Einzelnheiten zerlegende, oder diese und jene Einzelnheit auf diese oder jene Weise ineinander fügende, Verstand; hier hatte er nicht unmittelbar darzustellen , sondern zu schildern, Vergleichungen zu ziehen, Ähnliches durch Ähnliches begreiflich zu machen – und hierzu reichte nicht nur sein Organ der Wortsprache aus, sondern es war das einzige, durch das er sich verständlich machen konnte. – Da, wo aber das von ihm Vorbereitete wirklich werden soll, wo er nicht mehr zu sondern und zu vergleichen, sondern das alle Wahl Verneinende und dagegen sich selbst bestimmt und unbedingt Gebende, das entscheidende und bis zur entscheidenden Kraft gestärkte Motiv in dem Ausdrucke eines notwendigen, gebieterischen Gefühles selbst sich kundgeben lassen will – da kann er mit der nur schildernden, deutenden Wortsprache nicht mehr wirken, außer wenn er sie eben so steigert , wie er das Motiv gesteigert hat, und dies vermag er nur durch ihren Erguß in die Tonsprache .
[ VI ]
Die Tonsprache ist Anfang und Ende der Wortsprache, wie das Gefühl Anfang und Ende des Verstandes, der Mythos Anfang und Ende der Geschichte, die Lyrik Anfang und Ende der Dichtkunst ist. Die Vermittlerin zwischen Anfang und Mittelpunkt, wie zwischen diesem und dem Ausgangspunkte, ist die Phantasie .
Der Gang dieser Entwickelung ist aber ein solcher, daß er nicht eine Rückkehr, sondern ein Fortschritt bis zum Gewinn der höchsten menschlichen Fähigkeit ist und nicht nur von der Menschheit im allgemeinen, sondern von jedem sozialen Individuum dem Wesen nach durchschritten wird.
Wie im unbewußten Gefühle alle Keime zur Entwickelung des Verstandes, in diesem aber die Nötigung zur Rechtfertigung des unbewußten Gefühles liegt und erst der aus dem Verstande dieses Gefühl rechtfertigende Mensch der vernünftige Mensch ist; wie in dem durch die Geschichte, die auf gleiche Weise aus ihm entstand, gerechtfertigten Mythos erst das wirklich verständliche Bild des Lebens gewonnen wird: so enthält auch die Lyrik alle Keime der eigentlichen Dichtkunst, die endlich notwendig nur die Rechtfertigung der Lyrik aussprechen kann, und das Werk dieser Rechtfertigung ist eben das höchste menschliche Kunstwerk, das vollkommene Drama .
Das ursprünglichste Äußerungsorgan des innern Menschen ist aber die Tonsprache , als unwillkürlichster Ausdruck des von außen angeregten inneren Gefühles. Eine ähnliche Ausdrucksweise wie die, welche noch heute einzig den Tieren zu eigen ist, war jedenfalls auch die erste menschliche; und diese können wir uns jeden Augenblick ihrem Wesen nach vergegenwärtigen, sobald wir aus unserer Wortsprache die stummen Mitlauter ausscheiden und nur noch die tönenden Laute übriglassen. In diesen Vokalen, wenn wir sie uns von den Konsonanten entkleidet denken und in ihnen allein den mannigfaltigen und gesteigerten Wechsel innerer Gefühle nach ihrem verschiedenartigen, schmerzlichen oder freudvollen Inhalte kundgegeben vorstellen, erhalten wir ein Bild von der ersten Empfindungssprache der Menschen, in der sich das erregte und gesteigerte Gefühl gewiß nur in einer Fügung tönender Ausdruckslaute mitteilen konnte, die ganz von selbst als Melodie sich darstellen mußte. Diese Melodie, welche von entsprechenden Leibesgebärden in einer Weise begleitet wurde, daß sie selbst gleichzeitig wiederum nur als der entsprechende innere Ausdruck einer äußeren Kundgebung durch die Gebärde erschien, und deshalb auch von der wechselnden Bewegung dieser Gebärde ihr zeitliches Maß im Rhythmus – der Art entnahm, daß sie es dieser wieder als melodisch gerechtfertigtes Maß für ihre eigene Kundgebung zuführte –, diese rhythmische Melodie , die wir, im Betracht der unendlich größeren Vielseitigkeit des menschlichen Empfindungsvermögens gegenüber dem der Tiere, und namentlich auch deshalb, weil sie eben in der – keinem Tiere zu Gebote stehenden – Wechselwirkung zwischen dem inneren Ausdrucke der Stimme und dem äußeren der Gebärde [Fußnote: Das Tier, das seine Empfindung am melodischsten ausdrückt, der Waldvogel, ist ohne alles Vermögen, seinen Gesang durch Gebärden zu begleiten.] sich undenklich zu steigern vermag, mit Unrecht nach ihrer Wirkung
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