Operation Arche - 1
karmesinrote Flut breitete sich das Blut auf dem Parkettfußboden der Bibliothek aus. Und dann …
»Ausschwärmen!«, bellte Zhahnsyn, und die Überlebenden stürzten los, näherten sich in einem breiten Halbkreis ihrem Gegner. Gray Harbor war mindestens ebenso erstaunt wie jeder andere hier. Niemals hätte er sich eine derartige Geschwindigkeit und Kraft auch nur vorstellen können, doch fast augenblicklich begriff er, dass der Seijin, so todbringend er auch sein mochte, sich in einem furchtbaren, fatalen Nachteil befand.
Er versuchte, Gray Harbor zu schützen.
Er war wie eine einzelne Kriegsgaleere, die nicht den Anker lichtete, um stets in der Nähe des großen, schwerfälligen Handelsschiffs zu bleiben, das von Dutzenden abgerissener Piraten immer wieder angegriffen wurde. Nicht einer von ihnen würde diesem Gegner im Kampf Schiff gegen Schiff widerstehen können, doch auf etwas derart Törichtes brauchten sich die Gegner auch nicht einzulassen. So lange Merlin immer noch gezwungen war, den Grafen zu beschützen und er sich nicht frei bewegen konnte, konnten Tirians Männer den Zeitpunkt ihres Angriffs frei wählen und die einzelnen Angriffswellen koordinieren, und es gab nichts, was Gray Harbor dagegen hätte unternehmen können. Selbst wenn er angemessen bewaffnet gewesen wäre, hätte er Merlin doch nur im Wege gestanden – und das war auch dem Grafen bewusst, so beschämend es auch für ihn sein mochte, das zuzugeben. Doch wenn er schon nicht helfen konnte, dann musste es doch wenigstens eine Möglichkeit geben, zumindest …
»Kümmert Euch nicht um mich, Seijin!«, bellte er und sprang mit einem weiten Satz geradewegs in die entgegengesetzte Richtung der immer näher kommenden Gardisten. Tirian stieß einen Fluch aus, als sein Schwiegervater auf die schmiedeeiserne Wendeltreppe zusprang, die zur Galerie hinaufführte, von der aus man die oberen Regalreihen erreichen konnte. Der Herzog hatte diese etwas eigenwillig verzierte Konstruktion seiner Gemahlin an ihrem dritten Hochzeitstag zum Geschenk gemacht. Zhenyfyr Ahrmahk liebte Bücher mindestens ebenso sehr wie ihr Gemahl oder ihr Vater, und hocherfreut hatte sie über dieses geradezu absurd überraschende Geschenk gelacht. Nicht, dass es nicht zugleich auch sehr praktisch gewesen wäre; es war in jedem Falle für jemanden, der bodenlange Kleider trug, deutlich angenehmer, in dieser Weise auf die Bücher in den oberen Reihen zugreifen zu können, als das mit den steilen, verschiebbaren Leitern der Fall gewesen war.
Einer der Gardisten des Herzogs begriff schnell genug, was der Graf beabsichtigte, um seinerseits vorwärts zu stürmen; er wollte den alten Mann festhalten, bevor dieser die Treppe erreichte. Doch durch seine Bewegung kam er in Merlins Reichweite, und wieder schnellte die Klinge blitzgeschwind vor. Mühelos durchtrennte sie Fleisch und Knochen, Blut sprühte in einer dunklen, stinkenden Fontäne auf, und der Gardist stürzte schreiend zu Boden, als die messerscharfe Waffe seinen dicken Oberschenkelknochen so sauber durchtrennte, als sei es ein gewaltiges Beil; drei Zoll oberhalb des Knies wurde das ganze Bein abgetrennt.
Die anderen Gardisten reagierten langsamer, und Gray Harbor lief die edel verzierten Stufen hinauf; der Dolch blitzte in seiner Hand. Von dort oben konnte er darauf hoffen, selbst einen Gegner mit Schwert wenigstens einige Augenblicke lang abwehren zu können. Und wichtiger noch: Auf diese Weise hatte er sich aus der Reichweite jeder unmittelbaren Bedrohung bewegt.
Tirians verbliebene Gardisten begriffen fast ebenso schnell wie der Herzog, was das bedeutete, und ihr vorsichtiges Vorrücken verwandelte sich in einen plötzlichen Ansturm. Während ihr zu Boden gestürzter Kamerad immer noch Schmerzensschreie ausstieß, rannten sie los. Sie wollten Merlin einkesseln, bevor er die jetzt neu gewonnene Bewegungsfreiheit zu seinen Gunsten nutzen konnte.
Doch so schnell sie auch liefen, sie waren nicht schnell genug. Merlin versuchte gar nicht erst, ihnen auszuweichen: Er kam ihnen entgegen. Captain Yowance von der Royal Charisian Navy war der Nahkampf nicht fremd, und Graf Gray Harbor wusste auch genau, was ein Blutbad war. Aber etwas Derartiges hätte er nicht einmal zu träumen gewagt.
Tirians Gardisten versuchten Merlin regelrecht zu überrennen, doch es war, als wolle ein Heringsschwarm eine Krake bedrängen. Der Seijin schien fast beiläufig immer weiter zu gehen, doch sein sonderbares Schwert zuckte so rasch durch die
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