Operation Arche - 1
Herbstnacht den eisigen Wind über sich ergehen lassen.
Glücklicherweise war Zion eine sehr große Stadt, und Madame Ahnzhelyks Etablissement lag in einem teuren, sehr exklusiven Stadtteil, fast fünf Meilen vom Tempel entfernt. Damit hatte Merlin einen gewissen Sicherheitspuffer, was unidentifizierte Energie-Signaturen betraf, so lange er diskret vorging – und Merlin hatte mittlerweile herausgefunden, dass er sehr, sehr diskret vorgehen konnte, wenn die Notwendigkeit dazu bestand.
Dank einer Fernsonde, die sich in den Falten von Dynnys Gewändern verborgen hatte, lauschte er jetzt den Gesprächen auf der Straße und nickte zufrieden. Persönlich hatte er nichts gegen Dynnys – noch nicht, zumindest –, und so war er mit dem Ergebnis wirklich zufrieden, als er nun die Einschätzungen hörte, die Ahnzhelyk und Dynnys Kutscher-Gehilfe aussprachen. Zweifellos sind die Verletzungen des Erzbischof sehr schmerzhaft, sinnierte er, während er den tragbaren Traktorfeldgenerator einsteckte, den er soeben gegen Dynnys Füße zum Einsatz gebracht hatte, aber es klingt nicht gerade so, als wären sie lebensbedrohlich. Das war gut. Merlin wollte sich gar nicht erst daran gewöhnen, beiläufig Menschen zu töten, die er nicht unbedingt würde töten müssenund im Großen und Ganzen war ihm Dynnys immer noch lieber als ein möglicherweise viel doktrinärerer und … strengerer Nachfolger.
Andererseits war es offensichtlich, dass zumindest das rechte Bein des Erzbischofs gebrochen war, und das sogar recht übel. Wahrscheinlich war auch die rechte Schulter ernstlich in Mitleidenschaft gezogen, soweit Merlin das dank seiner Restlichtverstärkersysteme von seinem Standpunkt aus beurteilen konnte – und auch nach dem, was er bislang gehört hatte. Es würde lange dauern, bis Dynnys sich davon wieder erholt hätte. Bis das geschehen war, wäre die Hsing-Wu-Passage gewiss zugefroren – wie es im Winter fast immer der Fall war −, und Merlin bezweifelte, dass irgendjemand im Tempel erwarten würde, dass der Erzbischof diese anstrengende Überlandreise nach Clahnyr und quer über den ›Kessel‹ im tiefsten Winter antrat – vor allem nicht, nachdem er doch erst kürzlich einen so üblen Unfall erlitten und so schwere Verletzungen davongetragen hatte. Und damit sollte Dynnys’ Besuch seiner Gemeinde für mindestens fünf oder sechs Safehold-Monate verzögert werden.
Das sollte ausreichen, um zumindest alles ans Laufen zu bringen und dann noch meine eigenen Spuren zu verwischen … hoffe ich, dachte er. Zumindest ist es das Beste, was ich im Augenblick tun kann. Und ich muss dringend ›nach Hause‹.
Der Gedanke ließ ihn grinsen. Im Augenblick herrschte in Charis hellichter Tag. Er hatte Haarahld und Cayleb (hinreichend aufrichtig) gesagt, er brauche einige Zeit für sich allein, um sich mit gewissen Aspekten seiner Visionen zu befassen. Der König hatte ihm gestattet, dafür die Abgeschiedenheit der Berge in der Nähe von Tellesberg aufzusuchen, auch wenn es offensichtlich war, dass Haarahld nicht gerade erbaut darüber war, Merlin alleine und schutzlos ziehen zu lassen. Cayleb andererseits hatte Merlin nur nachdenklich – außerordentlich nachdenklich! − angeblickt, als sein ›Leibgardist‹ diese Bitte geäußert hatte, und Merlin hatte sich gefragt, was wohl genau dem Kronprinzen in dem Augenblick durch den Kopf gegangen sein mochte.
Was auch immer es nur war, je früher Merlin zurück nach Hause kam, um sich damit zu befassen – oder den Argwohn des Prinzen zu zerstreuen, je nachdem −, desto besser.
Fast lautlos kletterte er von dem Dach herunter, zog den Poncho dichter um sich, setzte die Kapuze auf und ging forschen Schrittes davon. Owl wartete gewiss schon auf ihn, jederzeit bereit, ihn wieder mit Hilfe des Traktorfeldes an Bord seines Schwebebootes zu heben, aber bevor das geschah, würde Merlin noch mindestens zehn weitere Meilen zwischen sich und den Tempel bringen. Zumindest, dachte er mit einem sardonischen Grinsen, habe ich in so einer Nacht die Straßen der Stadt fast für mich allein.
.II.
Königlicher Palast, Tellesberg
Kronprinz Cayleb hob schon die Hand, um höflich anzuklopfen, dann blieb er kurz vor der nur angelehnten Tür des Gemaches stehen. Erstaunt hob er eine Augenbraue, als er dieses leise, scharfe Klicken hörte. Da war es wieder! Dann verklang es, und schon begann es von neuem.
Der Prinz legte die Stirn in Falten, fragte sich, welche Neuheit wohl heute auf ihn warten mochte, dann
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