Operation Arche - 1
tüchtigsten Geschäftsleute in ganz Tellesberg. Er war vielleicht der größte Textilproduzent des Königreiches, in jedem Falle aber war er der wichtigste Segelmacher der Royal Navy. Ganz zu schweigen davon, dass ihm auch die größte Seilerbahn in Tellesberg gehörte.
Vom Alter her lag Sir Dustyn Olyvyr ziemlich genau zwischen Howsmyn und Mychail. Auch wenn man ihn zweifellos als ›äußerst wohlhabend‹ hätte beschreiben können, machte sich das in seiner Kleidung in keiner Weise bemerkbar. Tatsächlich war er sogar in vielerlei Hinsicht unscheinbar, doch er war auffallend breitschultrig, und seine Hände, die er mittlerweile natürlich säuberlich maniküren ließ, wiesen Narben auf, die er sich in seiner Jugend zugezogen hatte: während seiner Lehre bei einem Schiffszimmermann. Natürlich war diese Lehrzeit lange vorbei, und auch wenn er niemals eine eigene Werft besessen hatte (er hätte auch niemals eine haben wollen), hatte er doch stets genug zu tun. Er gehörte zu den zwei oder drei angesehensten Schiffskonstrukteuren von Tellesberg, und zugleich war er auch der Leitende Flottenkonstrukteur der Royal Charisian Navy.
Der fünfte Mann am Tisch trug den gleichen himmelblauen Uniform-Kasack und die gleichen weitgeschnittenen, schwarzen Hosen wie High Admiral Lock Island. Doch Sir Ahlfryd Hyndryk, Baron Seamount, hatte lediglich den Rang eines Captains inne, und während Lock Island hochgewachsen, schlank und auffällig sonnengebräunt war, mit den charakteristischen Krähenfüßen und dem wettergegerbten Gesicht eines Menschen, der sein Leben lang Seefahrt betrieben hatte, war Seamount ein dicklicher, kleiner Bursche. Fast wirkte er neben dem hoch aufragenden, breitschultrigen Admiral ein wenig lächerlich – aber nur, bis man seine Augen sah. Diese Augen wirkten sehr aufmerksam, und man konnte erkennen, dass dieser Schädel einen äußerst leistungsfähigen Verstand beherbergte. Merlin sah, dass ihm zwei Finger der linken Hand fehlten, und auf seiner linken Wange konnte er ein sonderbares Muster dunkler Flecken erkennen: die unverkennbaren Verbrennungen einer Pulverexplosion, das erkannte Merlin, und er wusste auch, dass Seamount bei dieser Explosion eben auch die beiden Finger verloren hatte. Seamount mochte im Ganzen nur wenig attraktiv wirken; er war doch noch am ehesten ein Experte für Geschützwesen – das Beste, was die Royal Charisian Navy (oder auch jede andere Navy) zu bieten hatte.
Cayleb schloss die Vorstellung der Anwesenden ab und nahm dann seinen Platz am Kopfende des Tisches ein. Die anderen warteten, bis er sich gesetzt hatte, dann ließen sie sich ebenfalls in ihre Sessel sinken. Dabei verschwendeten sie keine Zeit, darüber nachzudenken, wer hier wem aus welchen Gründen auch immer den Vortritt zu lassen hatte, wie Merlin erfreut feststellte – auch wenn Seamount immerhin wartete, bis Lock Island Platz genommen hatte, bevor er sich selbst setzte. Das jedoch geschah gewiss aus Respekt vor dem höheren militärischen Rang des Admirals, nicht wegen seines Adelstitels. Offensichtlich kannten alle hier einander, was vielleicht auch erklärte, warum sie doch recht zwanglos miteinander umgingen. Im Vergleich dazu war es völlig unvorstellbar, dass etwa ein Adeliger aus Harchong oder Desnairia jemals eine derartige gesellschaftliche Gleichstellung mit einem Bürgerlichen geduldet hätte.
Cayleb wartete, bis alle ihre Sessel zurechtgerückt hatten, dann blickte er sich am Tisch um. Obwohl er noch relativ jung war, stand doch von vornherein völlig außer Frage, wer hier diese Zusammenkunft leitete, und Merlin vermutete fast, dass dem sogar dann so gewesen wäre, wenn Cayleb nicht der Thronerbe von Charis wäre.
»Es gibt einen Grund, warum mein Vater uns alle zu dieser Zusammenkunft hierher gebeten hat«, setzte der Prinz an. »Tatsächlich gibt es sogar mehrere Gründe. Die Tatsache, dass es unerlässlich ist, in jedem Falle zu verhindern, dass unsere Feinde entdecken, was wir hier planen – vor allem mit dir und Sir Ahlfryd, Bryahn –, trägt vielleicht noch zu der Erklärung bei, warum wir uns hier draußen auf Helen Island treffen mussten.
Das ist auch der Grund, warum Vater mir die Leitung dieser Zusammenkunft übertragen hat. Ich bin immer noch jung genug, dass die meisten glauben könnten, ich dürfe noch keinerlei wirklich wichtige Dinge ohne ›Aufsicht eines Erwachsenen‹ tun.« Sein Grinsen verriet, wie spaßig er das fand, und die meisten seiner Zuhörer lachten leise.
Weitere Kostenlose Bücher