Operation Arche - 1
bislang niemand auch nur darüber nachgedacht, einen PICA für unbegrenzte Zeit im autonomen Modus aktiv zu halten, und das bedeutete, dass bisher niemand irgendwelche Erfahrungswerte dafür hatte, es länger als zehn Tage am Stück auszuprobieren.
Ob sie nun ein Faible für Sprachen hatte oder nicht, sie würde eine gewisse Zeit benötigen, die ortsübliche Abart des Standard-Englischen hinreichend zu beherrschen, bevor sie auch nur darüber nachdenken konnte, in direkten Kontakt mit den einheimischen Safeholdianern zu treten. Dann war da noch dieses kleine Problem, dass sie nun einmal weiblich war, und das auf einem Planeten, auf dem eine im Großen und Ganzen fast vollständig männerdominierte Kultur begründet worden war.
Dagegen konnte sie etwas tun, auch wenn ihr dieser Gedanke nicht sonderlich angenehm erschien. Aber dann war da auch noch die Tatsache, dass fast alle ihre Fertigkeiten – die sie in einer Gesellschaft erlernt hatte, in der fortschrittliche Technologien eine Selbstverständlichkeit dargestellt hatten –, in dieser Welt hier nur von eingeschränktem Nutzen sein würden. Sie war schon immer eine begeisterte Seglerin gewesen, wann immer sie Zeit dafür gehabt hatte, doch immer nur mit relativ kleinen Booten, wie etwa der Zehn-Meter-Schaluppe ihres Vaters. Das mag nützlich sein, dachte sie, doch im Gegensatz zu einigen ihrer Kameraden beim Militär hatte sie nie sonderlich ausgeprägtes Interesse an ›Survival-Kursen‹ gehabt, ebenso wenig an der Scharfschützenausbildung, dem Nahkampftraining, an Schmiedearbeiten oder daran, wie man aus leeren Proviantverpackungen und alten Gummibändern die besten, todbringendsten Fallen bauen konnte. Natürlich: schon mehrere Jahre vor ›Operation Arche‹ hatte Commodore Pei ihr Interesse an Kendo geweckt. Dabei hatte sie sich auch recht wacker geschlagen, auch wenn sie sich selbst kaum als ›Meisterin‹ dieses Kampfstils bezeichnet hätte. Dennoch war das in etwa die einzige, möglicherweise nützliche Fertigkeit, die ihr einfallen wollte, und sie war sich noch nicht einmal sicher, wie nützlich ihr das hier wirklich würde sein können.
Das waren Probleme, um die sie sich beizeiten würde kümmern müssen. Doch vorher gab es noch viele andere Dinge, über die es nachzudenken galt. Kau-yungs Aufzeichnungen – eigentlich fast schon ein Tagebuch – hatten ihr einen Einblick aus der Insider-Perspektive in das verschafft, was Langhorne und Bédard den Kolonisten angetan hatten. Angesichts dieses Insider-Wissens musste man nicht gerade ein Genie sein, um sich der Konsequenzen all der Modifikationen bewusst zu werden, die an den Psycho-Profilen vorgenommen worden waren, auch wenn Nimue bislang die Gespräche auf dieser Welt nur bruchstückhaft verstand.
Safehold unterschied sich von allen anderen Planeten, auf dem sich jemals Menschen niedergelassen hatten. Selbst auf den ältesten Kolonialwelten der Föderation hatte die Besiedlung weniger als zweihundert Jahre, bevor die Menschen zum ersten Mal auf die Gbaba stießen, stattgefunden. Bei den ältesten Kolonien hatte das ausgereicht, um starke eigene, örtliche kulturelle Muster auszuprägen, doch sämtliche dieser Muster waren dabei stets von den verschiedensten kulturellen Unterströmungen beeinflusst, die es auf Terra gegeben hatte. Geradezu enorm mannigfaltige Elemente hatten sich darin niedergeschlagen, und natürlich war Terra selbst das mannigfaltigste Element von allen.
Doch im Gegensatz zu all diesen anderen Planeten, deren Kulturen sich daraus ergeben hatten, dass verschiedene Gesellschaftsformen, Glaubenssysteme, Ideologien, Philosophien und Weltanschauungen zu einem pluralistischen Ganzen verschmolzen waren, hatte Safehold mit einer völlig einförmigen Kultur begonnen. Einer künstlich geschaffenen einförmigen Kultur. Die Menschen, die diese Kultur errichtet hatten, waren allesamt programmiert worden, exakt das Gleiche zu glauben, sodass die Unterschiede, die sich mittlerweile auf Safehold herausgebildet hatten, die Folge von acht Jahrhunderten der Fortentwicklung von einer zentralen Matrix waren, und nicht etwa einer Entwicklung zu einer zentralen Matrix.
Dazu kam, dass Langhorne und Bédard den Kolonisten absoluten Glauben an diese ›Religion‹ einprogrammierten, die sie sich zurechtgelegt hatten. Zu Nimues Bibliothek gehörte auch der Originaltext der ›Heiligen Schrift‹ von Safehold, das Maruyama Chihiro, ein Mitarbeiter von Langhornes Stab, abgefasst hatte, und Nimue hatte es
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