Operation Arche - 1
gäbe es niemanden mehr, der ihn würde korrigieren können, und es wäre wirklich die bitterste nur vorstellbare Ironie, wenn sie, nach all den Opfern, die gebracht worden waren, nur damit sie jetzt hier sein konnte, sich selbst und aus eigenem Verschulden für alle Zeiten deaktivieren würde.
In gewisser Hinsicht hatte es sogar etwas Beruhigendes, diese ganzen Informationen auf die alte, altmodische Art und Weise durcharbeiten zu müssen. Hier zu sitzen, die Texte zu lesen, die aufgezeichneten Text- und Bildnachrichten zu betrachten, statt sich einfach nur an das Interface anzukoppeln, war fast wie ein Zugeständnis an die biologische Menschlichkeit, die sie ein für allemal verloren hatte. Und es war ja auch nicht gerade so, als sei sie furchtbar in Eile, auf dieser Welt die ersten Veränderungen zu bewirken.
»Owl?«, sagte sie dann laut.
»Ja, Lieutenant Commander?«, erwiderte eine freundliche, fast natürlich klingende Tenorstimme.
»Ich sehe hier, dass Commodore Pei uns ein Bodenüberwachungsgerät hinterlassen hat. Ist das online?«
»Negativ, Lieutenant Commander«, erwiderte Owl. Das war alles, was ›er‹ sagte, und Nimue verdrehte die Augen.
»Warum nicht?«, fragte sie dann.
»Weil ich nicht instruiert wurde, es on-line zu bringen, Lieutenant Commander.«
Nimue schüttelte den Kopf. Owl war der Name, den sie dem Taktik-Computer aus dem Hause Ordonez-Westinghouse-Lytton, einem RAPIER-Modell, gegeben hatte; es war Pei Kau-yung gelungen, auch dieses Gerät für sie zu ›verlieren‹. Es war nicht gerade das hellste und scharfsinnigste, was seinerzeit an KI verfügbar war: Auf ihrem eigenen Spezialgebiet war diese KI-Einheit zweifellos höchst kompetent, doch man hatte bei Taktik-Computern bewusst jeglichen eigenen ›Willen‹ unterdrückt, sodass sie stets auf ausdrückliche Anweisungen der Menschen angewiesen waren, die sie jeweils nutzten. Owl sprühte wahrlich nicht gerade vor Fantasie oder der Möglichkeit – oder dem Bedürfnis –, Fragen oder Anweisungen vorauszuahnen. Theoretisch war Owls Programmierung heuristisch, sodass sich langfristig eine eigene Persönlichkeit würde herausbilden müssen, doch andererseits hatte Nimue schon mit zahlreichen RAPIERs gearbeitet, und keiner von denen hatte sie bisher als sonderlich ›genial‹ beeindruckt.
»Was ich eigentlich hatte fragen wollen«, sagte sie jetzt, »ist, ob es ein Hardware-Problem gibt, das dich davon abhalten könnte, den Sensor zu aktivieren, oder nicht.«
Wieder erhielt sie keine Antwort, und Nimue presste die Lippen aufeinander.
»Gibt es ein derartiges Hardware-Problem?«
»Ja, Lieutenant Commander.«
»Was für ein Problem denn?«, fragte sie, mittlerweile leicht gereizt.
»Der betreffende Sensor ist derzeit von einer schätzungsweise dreizehn Meter dicken Schicht aus Schnee und Eis bedeckt, Lieutenant Commander.«
»Ah, endlich kommen wir weiter.« Ihr Sarkasmus prallte am Schweigen der AI einfach ab, und Nimue seufzte.
»Ist es ansonsten einsatzbereit?«, fragte sie im Tonfall zur Schau gestellter Geduld.
»Positiv, Lieutenant Commander.«
»Können der Schnee und das Eis geschmolzen werden?«
»Positiv, Lieutenant Commander.«
»Und du bist über einen abgesicherten Überlandkontakt damit verbunden?«
»Positiv, Lieutenant Commander.«
»Also gut.« Nimue nickte. »In diesem Falle möchte ich, dass du es aktivierst, ausschließlich Passiv-Systeme, und eine vollständige Standard-Himmelsabtastung nach einer etwaigen Orbital-Infrastruktur vornimmst. Und gib mir eine Zeitabschätzung, wann diese Abtastung abgeschlossen sein wird.«
»Systeme werden aktiviert, Lieutenant Commander. Erforderlicher Zeitraum, die Sensor-Rezeptoren von Schnee und Eis zu befreien: abgeschätzt einunddreißig Standard-Stunden. Erforderlicher Zeitraum, nach dem Freiräumen der Sensoren eine vollständige Passiv-Abtastung vorzunehmen: dreiundvierzig Standard-Stunden, günstige Wetterbedingungen vorausgesetzt. Aber die Effizienz der optischen Systeme könnte durch ungünstige Wetterbedingungen durchaus reduziert werden.«
»Verstanden.« Nimues schmales Lächeln ließ makellos weiße Zähne aufblitzen. »Das, wonach ich suche, sollte sich recht leicht finden lassen, wenn es denn wirklich da oben ist.«
Owl sagte nichts weiter, und einen Augenblick lang versuchte Nimue sich vorzustellen, wie es wohl sein müsste, eine echte künstliche Intelligenz zu sein, und nicht eine menschliche Intelligenz, die in einer kybernetischen Matrix
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