Operation Blackmail
Le Marais. Aus dem
Piemont, wo er den Briefkasten für Leonid vorbereitet hatte, war er auf
direktem Weg nach Paris gefahren. Mao hatte das nächste Opfer sorgfältig ausgewählt,
zum einen lag es auf der groben Route, die er für Leonid vorgesehen hatte, zum
anderen war di Bernadini ein wichtiger Mitarbeiter der Bank mit besten
Kontakten zur feinen Gesellschaft Italiens. Wahrscheinlich sind Leonid und ich
sogar aneinander vorbeigefahren, am Ende saÃen wir im selben Internetcafé,
amüsierte sich Mao. Aber ein persönliches Treffen kam nicht infrage, das Netz
hingegen war überall und nirgends. Jetzt, da er seinen Plan einmal ins Rollen
gebracht hatte, galt die unbedingte Trennung zwischen Erpresser und Exekutive.
Bis auf die Briefkästen und die verschlüsselte Ãbermittlung ihrer Koordinaten
durfte es zwischen ihnen keinen Kontakt geben. Das Leben ist ein Bungeesprung
ohne Seil â und ohne Boden. Mao war abgesprungen, und es gab kein Zurück. BloÃ
im Moment, in der Schlange dieses dämlichen Restaurants, fühlte sich sein Leben
gar nicht mehr an wie ein Bungeesprung. Ihm war unendlich langweilig. Mit der
Geduld eines trächtigen Nilpferds erkundigte sich die Kassiererin, ein junges,
gar nicht mal hässliches Mädchen Anfang zwanzig, bei jedem Gast einzeln nach
seinen Wünschen. Für Maos Begriffe war sie abartig freundlich, vollkommen
unsinnig, reine Zeitverschwendung. Er fragte sich wieder einmal, was den Modeschöpfer
der Fast-Food-Kette dazu veranlasst haben konnte, derart verschnittene Säcke
als Hosen für die Angestellten zu schneidern. Da sah auch der knackigste
Hintern aus, als wäre er mit dem Schnitzelhammer bearbeitet worden. Seit fünf
Minuten stand er nun schon in der Schlange und hatte nichts Besseres zu tun,
als der Lady aufs Gesäà zu starren. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren, und so
etwas nannte sich Schnellrestaurant. Mao, für den Essen nichts weiter als erwärmte
Kohlehydrate bedeutete, fand das unglaublich. Er brauchte Essen, um seine
Körperfunktionen aufrechtzuerhalten, Kohlehydrate, die sich auf wundersame
Weise in Zucker wandeln würden, eine Cola, die ihm direkt ins Gehirn schieÃen
und dort ihr prickelndes Wunder verrichten würde. Mit Mitte dreiÃig zollte sein
Körper diesem Lebenswandel monatlich Tribut, aber das merkte er selbst kaum,
und seine letzte Beziehung hatte seinem gröÃeren Ziel schon vor zwei Jahren
Platz machen müssen. Während er mit ansehen musste, wie die Verkäuferin im
Zeitlupentempo eine Tüte Pommes frites zum Tresen trug, wanderten seine
Gedanken zu den Geistern, die er gerufen hatte. Leonid müsste inzwischen den
nächsten Briefkasten geleert haben. Wenn alles nach Plan lief, würde er den
zweiten Meilenstein binnen der nächsten drei Tage erreicht haben. Dann würde
der EuroBank langsam, aber sicher klar werden, dass ihnen Ignorieren nichts
helfen würde. Sie mussten zahlen, aber bis dahin war es noch ein weiter Weg.
Und für diesen brauchte er verdammt noch mal Kohlehydrate, jetzt.
Unkontrollierte Wut stieg in ihm hoch: auf das Nilpferd, den ganzen verfickten
Laden und die Bank. Endlich war er an der Reihe. Schnell verpackte er seine Wut
in ein Kästchen, dessen Oberfläche aus Klavierlack in seinen Gedanken wunderbar
schimmerte. Sein ehemaliger Psychiater hatte ihm diese Methode zur
Stressreduktion empfohlen. Ein kleines, wunderschönes schwarzes Schächtelchen,
beinahe fugenlos gearbeitet und mit einem chinesischen Schriftzeichen versehen.
Der Seelenklempner hatte ihm ein virtuelles Kästchen mit dem Zeichen für »Wut«
beschrieben, aber auf seinem eigenen stand stattdessen »Zukunft«. Während er
der dämlichen Kassiererin sein charmantestes Lächeln schenkte, bestellte er ein
Big-Mac-Menü mit Pommes frites und Cola und dazu ein Eis, zur Feier des Tages.
KAPITEL 12
Hauptquartier der European Council Special Branch ECSB,
Amsterdam
Tag 1: Montag, 7. Januar, 16:21 Uhr
Im War Room der ECSB trank Solveigh Lang die neunte Tasse
Kaffee des Tages. Sie liebte den Geruch, noch lieber schnüffelte sie jedoch an
frisch gemahlenem. Sie war seit fast siebzehn Stunden auf den Beinen, und die
wochenlange Vorbereitung zur Infiltration des Flughafens steckte ihr noch immer
in den Knochen. Obwohl Heathrow quasi als Ãbung durchging, musste sie sich
zusammenreiÃen, um sich auf den aktuellen Fall zu konzentrieren. In Paris war
eine
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