Operation Blackmail
hatte er zunächst sein Glück kaum fassen
können: Sie musste gerade an etwas anderem arbeiten, denn die Computeraktivität
auf ihrer Seite war gen null gesunken. Während er am Anfang noch besonders
umsichtig vorgegangen war, hatte er durch ihre Nachlässigkeit, den Rechner
unbeaufsichtigt zu lassen, den gesamten Inhalt ihrer Festplatte kopieren
können. Er hatte immer noch nicht alle Dateien durchgesehen, war aber bereits
alarmiert. Sein Gegner war weit gefährlicher, als er es jemals für möglich
gehalten hätte. Und seit zwei Stunden kannte er auch den vollen Namen der
Organisation: ECSB, European Council Special Branch. Dies bedeutete für ihn einen
fatalen Einschnitt, denn einer der Grundpfeiler seines Plans war die
Nachlässigkeit der Europäischen Union, immer noch keine paneuropäische Polizei
durchgesetzt zu haben. Und doch schien die ECSB so etwas Ãhnliches zu sein.
Irgendeine geheime Einheit, die in einer rechtlichen Grauzone operierte. Und
sie waren gut. Sie hatten die Hinweise, die von Leonid in Paris und Bologna
platziert worden waren, und den Ort des dritten Verbrechens geradezu erschreckend
schnell ermittelt. Er musste jetzt das Tempo ihrer Erpressung anziehen.
Ursprünglich hatte sein Zeitplan das Aufdecken von Athen seitens der Ermittler
wesentlich später vorgesehen. Sein Ablenkungsmanöver mit dem vermeintlichen
Auftragsmörder hatte nichts genützt. Der ganze Aufwand umsonst, die Recherchen,
das Besorgen der falschen Beweismittel. Wenigstens war das Ermitteln eines
geeigneten Kandidaten denkbar einfach gewesen. Diese Hobbyfanatiker sind schon
was Feines, dachte Mao. Fast alle stellten mittlerweile sorgsam gestaltete
Seiten ins Internet, um mit ihrem Wissen zu protzen oder sich mit Gleichgesinnten
zu vernetzen. So war er auf die Hobbyseite eines Freaks aus Utah gestoÃen, der
eine Liste sämtlicher Serienmörder und Auftragskiller führte. Darunter waren so
bekannte und längst verhaftete und hingerichtete GröÃen wie Ted Bundy oder
Charles Manson, aber auch Mordserien, die bisher nicht aufgeklärt werden
konnten. Aus einem dieser Profile hatte sich Mao den Täter gebastelt, dem er
die ersten Morde in die Schuhe hatte schieben wollen: dem international
gesuchten Auftragsmörder mit dem Decknamen Thanatos, der angeblich in Athen
lebte, um die sechzig war wie Leonid, und zudem starker Raucher und Vegetarier.
Deshalb hatte er seinen Partner angewiesen, zwei Monate kein Fleisch zu essen,
hatte ihm Sand vom Athener Strand und spanische Zigaretten besorgt. Indem er
diese Hinweise zurücklieÃ, hatte er sicherstellen wollen, dass â selbst wenn
sich zwei der beteiligten Behörden vernetzten â sie zwangsläufig auf seine
falsche Spur stoÃen mussten. Maos Angst wurde nicht dadurch geschürt, dass sie Thanatos verdächtigt hatten, sondern wie schnell
das geschehen war. Er hatte damals bei optimaler Kooperation mindestens zwei
Wochen veranschlagt, die ominöse ECSB hatte nicht einmal drei Tage gebraucht.
Das trieb ihm mittlerweile ernsthafte Sorgenfalten auf die Stirn. Andererseits
wusste er, dass die Bank bisher keinerlei MaÃnahmen ergriffen hatte, auÃer den
SchlieÃungen von ein paar Filialen in Südeuropa, die zudem längst wieder
aufgehoben waren. Vielleicht musste er sich doch keine Gedanken machen,
schlieÃlich gab es weitere Störschichten, die Leonid und ihn schützten. Aber er
musste auf der Hut sein, sie konnten sich keine Fehler erlauben, nicht bei
einem derartig professionellen Gegner. Er würde einfach sein ohnehin rasantes
Tempo um mindestens zwei Wochen anziehen. Für die ersten drei Opfer hatten sie
keine Woche gebraucht, und dennoch galt es jetzt, noch einmal zuzulegen.
AuÃerdem wurde es Zeit für seine kleine Ãberraschung, die er noch in petto
hatte. Der Gedanke an das Chaos, das er damit bei der EuroBank auslösen würde,
amüsierte ihn. Trotz allem.
Obwohl er darauf brannte, zurück zu seinem Rechner zu kommen, um den
Rest ihrer Festplatte zu durchforsten, musste er immer noch ein gutes Versteck
für das Paket an Leonid finden. Mittlerweile war er bei einer abgelegenen
Brücke angekommen. Ein schmaler Holzsteg führte unter dem Betongewölbe
hindurch, ein Graffito irritierte ihn: es befand sich an einem Pfeiler, der
mitten aus dem Wasser aufragte, kurz über der Wasseroberfläche. Wie war der
Künstler da hingekommen? Seltsam. Die Schar der
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