Operation Blackmail
Kälteschock riss er sie auf und wurde von
einer starken Lampe geblendet. Die Schritte schienen im Kreis zu laufen, wie
ein langsam eingestelltes Metronom, gleichmäÃig und aufdringlich. Erst nach
einer Weile hatten sich seine Augen an das Licht gewöhnt, eine alte
Schreibtischlampe brannte ihm direkt ins Gesicht. Seine Augen waren irgendwie
verklebt, die Wimpern hingen aneinander, war das Blut? Unerbittlich näherte
sich sein Peiniger, blieb vor ihm stehen. Er konnte nur eine dunkle Silhouette
erkennen, schemenhafte Konturen hinter dem grellen Licht.
»Was wollt ihr von mir?«, fragte eine herrische Stimme auf Englisch
mit starkem osteuropäischem Akzent.
Die Stimme des EuroBank-Mörders, die Stimme von Thanatos, einem
professionellen Killer, dachte Dominique. Dennoch durfte er nicht aufgeben,
Solveigh und Thater würden alles in Bewegung setzen, um ihn zu finden. Seine
Aufgabe war es, ihn so lange wie möglich zu beschäftigen. In seinem dröhnenden
Schädel wog er die Konsequenzen ab: Etwas zu sagen, kam nicht infrage, er
musste der ECSB Zeit verschaffen. Also schwieg er beharrlich. Eine weitere
Ladung Wasser landete in seinem Gesicht. Da er dieses Mal damit gerechnet
hatte, überraschte ihn die Eiseskälte weniger. Er versuchte, seine
blutverklebten Augen zu säubern, scheuerte wie wild mit der Augenhöhle an
seiner rechten Schulter, aber die kostbare Flüssigkeit rann viel zu schnell
herunter. Dominique schwieg. Kein Wort würde über seine Lippen kommen, er
musste nur lang genug warten. Bis Hilfe kam. Die Demütigungen seiner Kindheit
halfen ihm dabei. Stundenlanges Nichtstun in der Besenkammer seines Elternhauses.
Seine Quittung für die Eltern: Schweigen. So auch jetzt: Weiter den Mund
halten, es durchstehen. Schweigen ist einfacher als Lügen. Widerstehe der Versuchung,
denn mit jeder Lüge gibst du dennoch etwas von dir preis, auch wenn der Schmerz
kurzfristig nachlässt.
Die Silhouette hob etwas Schweres vom Boden auf. Sie hielt es wie
einen Baseballschläger, kam auf ihn zu. Also kein Wasser mehr, dachte Dominique
und zwang sich, die Augen offen zu halten. Die schwere Eisenstange krachte auf
seinen Oberschenkel, und der Knochen barst mit einem unerträglichen Knacken,
laut. Es fühlte sich so an, als sei ein Güterzug über sein Bein gerollt. Er
biss die Zähne aufeinander, wie er noch nie zugebissen hatte, fast meinte er,
sie würden nachgeben und splittern. Gab es so etwas? Für einen Moment schloss
er die Augen, eine wundervolle Sekunde hielt der Schock mit seinem Adrenalin
den Schmerz im Zaum, dann brach die Hölle los. Gegen die Tränen konnte er nicht
ankämpfen, es waren Schmerz, Wut und kalte Angst, sein Körper wehrte sich mit
Zittern und SchweiÃ. Er lief ihm die Stirn und den Rücken hinunter, bildete mit
dem Blut eine Lache, aber er schrie nicht. Niemals. Er zwang sich, sein linkes
Bein anzuschauen, aus dem Oberschenkel ragte ein Knochen wie ein grotesker
Stahlträger. Dominique dachte an die Bilder vom 11. September, das eingestürzte
World Trade Center. Sein Bein sah aus wie Ground Zero. Und er blutete wie ein
Schwein.
»Wer seid ihr?«, fragte der Schatten.
Dominique sagte nichts. Er hatte noch ein weiteres Bein, er würde es
ein zweites Mal schaffen. Was danach kam, daran würde er denken, wenn es so
weit war. Kein Schmerz konnte ihn dazu bewegen, seine Freunde zu verraten. Kein
Schmerz der Welt, nahm er sich vor. Thanatos schüttete ein seltsames Pulver auf
sein zerschundenes Bein und hob zum zweiten Mal die schwere Eisenstange. Ein
Turm war nicht genug, Ground Zero bestand auch aus zwei Türmen, waren Dominiques
letzte Gedanken. Zwei Türme.
KAPITEL 34
Athen, Hotel Hilton
Tag 5: Freitag, 11. Januar, 21:35 Uhr
Nach diesem katastrophalen Tag hatte Solveigh Lang beschlossen,
dass es das einzig Sinnvolle sei, sich zu betrinken. Zunächst in einer ollen
Kaschemme in der Athener Altstadt, die sie nach den dreckigsten Gläsern und der
lautesten Musik ausgesucht hatte, schlieÃlich noch auf einen Absacker an die
Hotelbar. Oder auch vier stramme Single Malts. Das billige Bier und der teure
Schnaps hatten ihr ordentlich zugesetzt, stellte sie fest, als sie mit der
Magnetkarte ihre Zimmertür aufschloss. Sie brauchte drei Anläufe, bevor die Tür
nachgab und sie in ihre Suite wanken konnte. Ungelenk vom Alkohol stolperte sie
aus ihren Schuhen, schälte sich aus dem billigen
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