Operation Blackmail
als sie das Fenster
schloss und Gas gab. Die mächtigen Reifen ihres Geländewagens hinterlieÃen eine
Staubwolke in der eiskalten russischen Winterluft.
Die schnurgerade Strecke führte durch ein kleines Wäldchen.
Die Sonne schimmerte durch die Laubdecke und vermittelte der militärischen
Anlage beinahe etwas Malerisches. Als sie den kleinen Wald durchquert hatte,
traute sie ihren Augen kaum. Was hatte das zu bedeuten? Tatsächlich, es war
unverkennbar ein amerikanisches StraÃenschild, das hier mitten in Russland auf
einem Militärgelände Besucher willkommen hieÃ:
WELCOME TO DEXTER, MAINE.
POPULATION: 3.890
Solveigh runzelte die Stirn. Sie war gespannt, welche
Ãberraschungen sonst noch auf sie warteten. Kurz hinter dem Ortsschild
wechselte der StraÃenbelag zu Asphalt, der den Schnee deutlich schlechter
absorbierte als die einfache Schotterpiste. Die Oberfläche war spiegelglatt.
Sie ging vom Gas, um nicht ins Schlingern zu geraten. Ihre Erwartungen an
weitere Ãberraschungen des Tages wurden nicht enttäuscht. Der Ort Dexter
stellte sich als perfekte Kopie einer amerikanischen Kleinstadt heraus,
inklusive Postamt, Rathaus und Supermarkt. Die Häuser waren nicht sonderlich
gut in Schuss, sie hatten sicher seit Jahren keinen Anstrich mehr bekommen. An
den gelb markierten StraÃenrändern parkten alte Autos: Chevy, Plymouth und
Ford. Allesamt amerikanische Modelle der Achtzigerjahre. Und sie schien
bevölkert zu sein. Ein Mann in Flanellhemd und ausgewaschener Jeans winkte ihr
aus seinem Vorgarten zu, vor der Eisenwarenhandlung standen zwei Frauen in ein
Gespräch vertieft. Sicher haben sie diese Retorte nicht zum Vergnügen der
russischen Volksseele errichtet und dann hinter einem drei Meter hohen
Sicherheitszaun abgeschirmt. Solveigh wurde klar, dass sie hier ein
authentisches Zeugnis des Kalten Krieges vorfand. Eine Stadt zur Ausbildung
sogenannter illegaler Residenten, einzig und allein gebaut, um den Klassenfeind
zu schwächen und ihm Zecken ins Fell zu setzen. Sie hatte davon gehört, dass
der KGB solche Anlagen betrieben hatte. Aber es live und in Farbe zu erleben
lieà sie noch einmal die Perfektion des Geheimdienstes bewundern, der in seiner
Blütezeit als der beste der Welt gegolten hatte. Seltsam nur, dass der Ort
immer noch genutzt wurde.
Vor dem Rathaus parkte sie auf dem Seitenstreifen und stieg aus dem
Auto. Sie zog ihren Mantel so fest wie möglich zu, um sich gegen die bittere
Kälte zu wappnen. Sie suchte jemanden, der ihr verraten konnte, wo sie Oberst
Malakhov finden würde. Am vielversprechendsten erschien ihr ein Mann um die
sechzig, der ein Paket Bücher auf dem Arm schleppte.
»Entschuldigen Sie, ich suche Oberst Malakhov«, versuchte sie es mit
den paar Brocken Russisch, die sie beherrschte.
»Excuse me, but I donât speak Russian«, antwortete ihr der ältere
Herr in perfektem Amerikanisch. Sein Englisch war besser als ihres, und sie
bildete sich ein, dass man sie nicht von einer Muttersprachlerin unterscheiden
konnte, ihrer schwedischen Mutter sei Dank.
»Können Sie mir sagen, wo sich Oberst Malakhov aufhält?«
Ihr Gegenüber kniff die Augen zusammen: »Sie meinen vermutlich
Reverend Green, unseren Pfarrer. Sie finden ihn gleich in der Kirche dort.« Er
zeigte auf eine pittoreske kleine Holzkirche mit spitzem Turm und dunklen
Schindeln auf dem Dach.
Solveigh dankte ihm und setzte sich in Bewegung. Bis zu dem
Türmchen, zu dessen Fuà der Eingang lag, waren es nicht einmal hundert Meter.
Sie klopfte an die klapprige Tür. Keine Antwort. Sie probierte die Klinke.
Offen. Der Innenraum des kleinen Gotteshauses war hübsch. Weià gestrichene
Bänke auf einem schlichten Holzboden, ein Altar mit einer brokatbesetzten
Decke, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. Eine Vielzahl von Kerzen tauchte
den Raum in flackerndes Licht, es roch nach Weihrauch. Offenbar wurden in
dieser Kirche Gottesdienste gefeiert. Als sie den Gang zwischen den Reihen
hinunterging, knarzten die wurmstichigen Holzdielen unter ihrem Gewicht.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«, überraschte sie urplötzlich eine
Stimme von hinten. Wo kam der auf einmal her? Die Kirche war doch leer, dachte
Solveigh, als sie sich umdrehte. Ein alter Mann mit Gehstock, gekleidet in
einen schwarzen Talar.
»Oberst Malakhov nehme ich an?«, stellte sie fest und reichte ihm
die Hand. »Ich bin Solveigh Lang.«
»Miss
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