Operation Ocean Emerald
stellte die Kiste auf die Palette und griff nach der nächsten. Der Sicherheitsmann stand weiter an seinem Platz.
Ronnys Puls beschleunigte sich. Als Nächstes kam eine markierte Kiste an die Reihe. Sie enthielt den Schwertfisch, in dessen Bauch zwei Kilo Semtex steckten – einer der stärksten Sprengstoffe der Welt. Mit den üblichen Durchleuchtungsvorrichtungen für die Fracht war er nicht nachweisbar, auch nicht mit elektronischen Detektoren. Nur speziell ausgebildete Hunde konnten ihn aufspüren. Allerdings nicht, wenn er von starkem Fischgeruch umgeben war.
Ronny griff mit beiden Händen nach der Kiste.
»Moment«, sagte der Sicherheitsmann.
Langsam ließ Ronny die Kiste los. Die Angst lähmte ihn so sehr, dass er beinahe vollkommen ruhig war.
Der Mann trat näher und hob den Deckel der Kiste an. Zwischen zerstoßenem Eis wurde die Flanke eines Schwertfischs sichtbar.
»Ich bin spät dran«, sagte Ronny angespannt. »Könnt ihr nicht auf dem Schiff in den Kisten herumschnüffeln?«
Der Sicherheitsbeamte fuhr mit der Hand in die Eissplitter. Ronny spannte die Muskeln an, bereit, notfalls zu handeln.
»Wir machen auch nur unsere Arbeit«, sagte der Sicherheitsmann und schloss den Deckel wieder.
Ronny verspürte eine Welle der Erleichterung, als er die Kiste auf die anderen stapelte und dem Gabelstaplerfahrer ein Zeichen gab. Sein Blick fiel auf die hell erleuchtete Gangway, auf der die Passagiere an Bord gingen.
Sie taten ihm beinahe leid.
4
Der alte, rostige VW Variant schepperte über das Kopfsteinpflaster in den engen Altstadtgassen von Porvoo, die von niedrigen, zweihundert Jahre alten Holzhäusern gesäumt wurden. Es war warm an diesem Herbstabend, aber feucht.
Der Wagen war von der Großmutter geliehen, Aaro saß auf dem Beifahrersitz und sein Vater fuhr, in seinen ewigen schwarzen Jeans und seinem halblangen grauen Mantel. Zwischen ihnen lag drückende Stille. Der Vater hatte dem Geschäftsführer die DVD bezahlt, peinlich berührt, aber auch erstaunt über seinen Sohn. Aaro hatte kein Wort über Niko verraten, doch er spürte, dass es irgendwie nicht schlecht wäre, seinem Vater die Wahrheit zu sagen.
Der kleine Finger an der linken Hand seines Vaters war verbunden – oder genauer gesagt die Stelle, wo der kleine Finger gewesen war. Aaro wusste nicht, was mit der Hand passiert war, sein Vater wollte es ihm nicht erzählen. Es hatte mit der Arbeit zu tun. Und über die wollte der Vater nie reden. Das ärgerte Aaro wahnsinnig. Sein Vater hatte einen unglaublich spannenden und gefährlichen Job und Aaro wusste darüber so gut wie nichts. Wie im Übrigen auch sonst niemand.
»Hast du eigentlich schon mal daran gedacht, was das Positive an der Geschichte mit dem kleinen Finger ist?«, fragte Aaro mit angestrengter Munterkeit. »Du musst dir einen Fingernagel weniger schneiden.«
»Warst du alleine in dem Geschäft?«, fragte der Vater, den Blick fest auf die Straße gerichtet.
»Weißt du eigentlich, dass der längste Fingernagel der Welt 68,58 Zentimeter lang ist? Er gehört …«
»Antworte! Warst du alleine dort?«
Aaro überlegte kurz. Er wollte ehrlich antworten, ohne aber ins Detail zu gehen. »Niko war dabei.«
Diese Antwort schien seinen Vater zu beleben. »Hast du das dem Geschäftsführer gesagt?«
»Er hat es gesehen«, sagte Aaro unsicher. Hatte Niko bei seinem Vater einen so schlechten Ruf, dass er sofort schlussfolgern konnte, was tatsächlich passiert war?
»Ruf Niko an und bitte ihn, zu uns zu kommen«, befahl der Vater. »Sofort.«
In seinem tiefsten Inneren war Aaro erleichtert. Zum Glück konnte man sich auf den Grips seines Vaters verlassen.
Aaro rief Niko mit seinem brandneuen Handy an. »Mein Vater will mit dir sprechen.« Er konnte den Triumph, der in seiner Stimme mitschwang, nicht verbergen.
»Ich bin schon bei euch«, antwortete Niko kleinlaut. »Um diese Zeit darfst du wahrscheinlich nicht mehr nach Hamina?«
»Dreimal darfst du raten.«
Aaro legte auf. Ihm war warm ums Herz. Zum Glück stahl sich Niko nicht aus der Verantwortung. Das würde seinem Vater gefallen. Und Niko wusste so gut wie Aaro, dass der Vater die Angelegenheit ruhig und im Gespräch klären würde. Im Gegensatz zu Nikos Vater.
»Niko wartet schon auf uns.«
»Gut«, brummte der Vater zufrieden.
Sie fuhren durch das enge Tor in den Hof, wo nur ein schwaches Licht über der Haustür brannte. Niko kam in seinen weiten Jeans und seiner ebenso weiten Jacke hinter einem Ahornbaum
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