Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
geendet hatte, bemerkte er, wie entsetzt sie war. Aber sie sagte immer noch nichts.
»Ich tausche Ihr Leben gegen Nadjas. Das ist Slanskis Bedingung. Wenn ich nicht darauf eingehe, tötet er meine Frau.«
Anna schien es immer noch nicht zu begreifen.
»Anna«, sagte Lukin eindringlich, »das ist kein Trick! Sie müssen mir glauben. Wir haben nicht viel Zeit. Kommen Sie mit, bitte!«
»Wohin bringen Sie mich?«
»Zu einem Treffpunkt in der Nähe von Moskau. Ins Kloster Nowodewitschi. Der Gefängnisleiter glaubt, daß Sie ins Frauengefängnis Lefortowo verlegt werden. Aber ich brauche Ihre Mitarbeit. Bitte tun Sie nichts Unüberlegtes, wenn wir das Gefängnis verlassen. Sprechen Sie mit niemandem außer mir. Und wenn wir Slanski treffen, möchte ich, daß Sie etwas für mich tun.«
»Was?«
»Überreden Sie ihn, meiner Frau keine Gewalt anzutun. Sie ist schwanger. Slanski kann mit mir machen, was er will, aber wenn er meiner Frau auch nur ein Härchen krümmt, werdeich ihn töten. Nadja hat mit der Sache zwischen Slanski und mir nichts zu tun. Werden Sie ihn darum bitten?«
Anna Chorjowa schien nicht glauben zu können, was geschah. Sie musterte Lukins Gesicht.
Seine Stimme klang tonlos vor Verzweiflung. Sie bemerkte die dunklen Ringe unter seinen Augen, seine Angst und Anspannung. Lukin erkannte plötzlich, wie absurd die Situation war. Er war nicht länger derjenige, der die Fragen stellte, sondern er war der Bittsteller. Lukin wußte nicht, ob Anna ihn haßte oder Genugtuung empfand. Dann aber nickte sie.
»Ja.«
»Danke.« Der Major schritt zur Tür. »Wir müssen gehen.«
»Was wird mit Ihnen geschehen?«
»Spielt das noch eine Rolle? Irgendwann müssen wir alle sterben. Sie und Slanski, weil ich bezweifle, daß Sie lebend aus Moskau herauskommen, wenn Berija davon erfährt. Meine Frau und ich, weil wir das nicht verhindert haben.«
»Und was wird aus meiner Tochter?«
»Anna …«
»Sagen Sie es mir!«
Lukin sah den Schmerz in ihrem Blick. Sie war den Tränen nahe, aber sie weinte nicht. Er schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht beantworten, Anna, wirklich nicht.«
Er sah ihre schmerzerfüllte Miene, und trotz seiner eigenen Verzweiflung rührte es ihn tief in seinem Inneren.
Sanft berührte er ihre Schulter. »Wir müssen gehen. Viel Zeit bleibt uns nicht.«
Anna starrte durch die Fensterscheibe auf die Lichter Moskaus, während Lukin den Wagen durch die Straßen lenkte.
Er hatte die Entlassungs- und Verlegungspapiere vor einem Wachposten unterschrieben, bevor er Anna die Handschellen anlegte. Fünf Minuten später hatten sie Lubjanka verlassen, und Lukin war an den Bürgersteig gefahren, um Anna die Handschellen wieder abzunehmen.
Seitdem hatte er geschwiegen. Anna war es gleich, ob Lukin etwas sagte oder nicht. Sie dachte nur an Sascha. Das Wiedersehen hatte ihr beinahe das Herz gebrochen. Als sieihre Tochter in den Armen gehalten hatte, war eine Flut von Erinnerungen über sie hereingebrochen, bis sie glaubte, vor Qual wahnsinnig zu werden. Es war ein Gefühl, als hätte jemand ihr einen Dolch ins Herz gestoßen.
Ihre Tochter hatte sich verändert, und doch war es immer noch Sascha. Anna erinnerte sich an ihren Geruch und daran, wie ihre Haut sich anfühlte. Beinahe hätte der Schmerz sie überwältigt, als sie erkannte, welches Glück sie beide versäumt hatten, weil sie getrennt worden waren.
Dann hatte Lukin ihr Sascha wieder weggenommen. Anna wußte, sie würde ihre Tochter nie wiedersehen.
In diesem Augenblick der endgültigen Trennung im Park wäre sie am liebsten gestorben, weil nur der Tod ihre Leiden beenden konnte. Und nun verzehrte sie sich vor Kummer. Was würde mit ihrer Tochter geschehen?
Ihr eigenes Schicksal kümmerte sie im Augenblick nicht, trotz allem, was Slanski zu ihrer Rettung unternommen hatte. Sie schaute Lukin an. Sie haßte den Mann, haßte ihn für das, was er war und für das, was er ihr angetan hatte.
Sie wollte ihn umbringen.
Als sie sein Gesicht betrachtet hatte, war ihr klar geworden, daß auch er tiefen Schmerz verspürte. In der Zelle hatte sie für einen Augenblick Mitleid mit ihm gehabt, doch jetzt dachte sie an Sascha, und ihre Wut flammte wieder auf.
Schließlich konnte sie das Schweigen nicht mehr ertragen.
»Geben Sie mir eine Zigarette.«
Er fuhr an den Straßenrand und suchte in seinen Taschen nach der Schachtel. Er reichte sie ihr, dann das Feuerzeug, und fuhr weiter. Anna zündete sich eine Zigarette an und bemerkte, daß ihre
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