Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
waren, kannten keine Gnade mit denGestapoleuten, sondern exekutierten sie auf der Stelle. Eva Bronski hatte das Kommando. Sie fragte Gratschow, ob er bei ihnen mitmachen wolle, und er hatte nicht lange überlegt, so dankbar war er. Fast ein Jahr hatten sie gemeinsam die Deutschen bekämpft, und Gratschow hatte Eva für ihren Mut und ihre Schönheit geliebt wie keine andere Frau zuvor, nicht einmal seine Ehefrau.
Als die Russen schließlich die letzten deutschen Verteidigungslinien vor Berlin überrannten, begleitete Eva ihn zum Bezirkskommissar der Roten Armee und behauptete, Gratschow sei über Partisanengebiet abgeschossen worden. Sie erzählte dem Kommissar, daß Gratschow dabei geholfen hätte, die Partisanen zu führen und zu organisieren – und so, wie Eva es schilderte, war er ein Held, der mutigste Mann, den sie jemals kennengelernt hatte. Sie erwähnte weder die Gefangennahme noch das Verhör durch die Gestapo, weil es Gratschow eine Gefängnisstrafe eingebracht hätte. Es hätte ihn seinen Rang, sogar das Leben kosten können.
Sie verabschiedeten sich voller Zärtlichkeit an jenem Tag. Nach Kriegsende wurde Gratschow zum Oberstleutnant befördert und von Stalin höchstpersönlich ausgezeichnet. Zwei Jahre später wurde er Oberst.
Den ersten Monat in seinem neuen Rang verbrachte er in der sowjetischen Luftwaffenbasis in Wien. Als er drei Monate später gedankenverloren in einem Kaffeehaus saß, setzte sich eine Frau auf den Stuhl ihm gegenüber. Gratschow traute seinen Augen nicht.
»Hallo, Wolodja«, sagte Eva.
Noch bevor er etwas erwidern konnte, schob sie einen Umschlag über den Tisch und befahl ihm, ihn zu öffnen. In dem Umschlag steckten Kopien mit den Verhaftungsdokumenten und die Vernehmungsprotokolle mit seinen Antworten, die gereicht hätten, Gratschow zu vernichten.
Es war schlichtweg Erpressung. Die Frau hatte ihn gerettet, um ihn zu benutzen. Man zwang ihn, Juden mit Maschinen der sowjetischen Luftwaffe aus Rußland nach Wien zu schmuggeln, von wo aus sie anschließend in den neuen Staat Israel weiterflogen. Oft genug hatte es Gratschow schlaflose Nächte bereitet.
Seine Gedanken kehrten wieder in die Gegenwart zurück. Er stand auf und seufzte. »Gehen wir spazieren.«
»Wo?«
»Draußen.«
Gratschow warf ein paar Geldscheine auf den Tisch, und sie verließen die Taverne. Sie spazierten, bis sie einen Platz fanden, von dem aus sie auf die Lichter Wiens hinunterschauen konnten. Gratschow blieb stehen.
»War das dein Ernst? Daß ihr mich dann in Ruhe laßt?«
»Wenn du das für uns tust, ist es endgültig der letzte Auftrag.«
»Euer Mann spricht Russisch?«
»Fließend.«
Gratschow seufzte und dachte nach. »Heute abend um sechs fliegt ein Militärtransporter von Wien nach Moskau. Im Haus in der Mahlerstraße vier habe ich eine Geliebte. Dein Mann soll um fünf da sein. Nicht später.«
Er blickte die Frau forschend an. »Also treffen wir uns jetzt zum letzten Mal?«
»Du hast mein Wort.«
Er schaute sie beinah sehnsüchtig an und beugte sich vor, um sie zu küssen. Im letzten Augenblick überlegte er es sich anders und strich nur leicht mit den Fingern über ihre Wange. »Shalom, Eva. Denk ab und zu an mich.«
»Shalom, Wolodja.«
Gratschow drehte sich um und ging in Richtung Stadt und Straßenbahnhaltestelle.
Augenblicke später hielt ein schwarzer Opel an der Bordsteinkante, und die Frau stieg ein. Der Mann neben dem Fahrer drehte sich um.
»Na, wie ist es gelaufen?« fragte Branigan.
Die Frau deutete mit einem knappen Nicken auf Massey, der neben ihr saß. »Ihr Freund fliegt heute abend.«
Branigan blickte Massey erleichtert an.
»Sie sind offenbar ein Glückspilz, Jake.«
Massey antwortete nicht. Branigan tippte dem Fahrer auf die Schulter, und der Wagen fuhr an.
48. KAPITEL
Moskau
Der Wachposten sperrte die Tür auf.
Anna Chorjowa blickte kaum auf. Sie saß auf dem Rand der Holzpritsche. »Anna?« sagte Lukin, als die Tür sich hinter ihm mit einem metallischen Knall schloß. Jetzt hob sie langsam den Blick, sagte aber nichts. Ihre Augen waren vom Weinen gerötet, und ihr Gesicht war abgespannt und blaß. Sie sieht aus, als wäre sie in Trance, dachte Lukin. Offenbar hatten die Ereignisse im Park sie in ein tiefes Trauma gestürzt.
»Anna, Sie müssen mir zuhören. Ich lasse Sie frei.«
Sie blickte ihn verwirrt an.
»Es ist kein Trick. Es ist etwas passiert, das Sie wissen sollten.«
Er erzählte ihr, was mit seiner Frau geschehen war, und als er
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