Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
sich eine Zigarette an und hielt Gratschow die Schachtel hin.
Er nahm eine. »Warum hast du ausgerechnet dieses Lokal ausgesucht?«
Die Frau lächelte. »Weil die Leute hier zu sehr mit Trinken beschäftigt sind, als daß sie darauf achten würden, wenn sich zwei alte Freunde unterhalten. Außerdem stolpert man in Wien nur über deine Leute.«
»Da hast du wohl recht. Also, worum geht es?«
Der Kellner brachte ihre Drinks, und als die Frau dem Russen Feuer gab, schaute sie ihn forschend an. Er hatte ein verlebtes Gesicht mit tiefen Falten um Kinn und auf der Stirn, diefast wie Narben wirkten. Seine dunklen, eng zusammenstehenden slawischen Augen strahlten etwas Unberechenbares aus. Es war ein derbes Gesicht, tiefgründig und brütend, aber nicht ohne Humor. Um die Mundwinkel des Mannes sah man tiefe Lachfalten. Aber jetzt lächelte er nicht.
»Hast du die Nachricht erhalten?« fragte sie.
»Wäre ich sonst hier?« Er blickte abwesend auf die Uhr. »Du bist sicher nicht hier, um Nettigkeiten auszutauschen, Eva. Ich bin angeblich auf einer Opernmatinée. Sie ist um fünf zu Ende, und ich werde gegen sechs in der Kaserne erwartet. Ich habe meinem Fahrer erzählt, daß ich einen Damenbesuch mache. Es hat mich eine Flasche Wodka gekostet, damit er den Mund hält. Aber selbst das ist kompromittierend. Also, was willst du?«
Die Frau beugte sich vor. »Ich möchte, daß du mir einen Gefallen tust, Wolodja.«
»Das hab’ ich mir schon gedacht.« Der Russe stellte sein Glas Bourbon verärgert auf den Tisch. »Werdet ihr Juden mich denn niemals in Ruhe lassen?«
»Der Mossad hat bisher wenig von dir verlangt, Wolodja. Aber wenn du uns diesen Gefallen tust, sind wir quitt, und ich werde dich nie wieder behelligen. Nie mehr.«
Gratschow blickte sie abschätzend an. »Ist das ein Versprechen?«
»Du hast mein Wort.«
Der Russe seufzte. »Dann muß es wohl wichtig sein. Sag mir, was du willst. Sollen noch mehr von deinen Freunden nach Wien eingeflogen werden?«
Die Frau schaute sich im Schankraum um. Die Leute unterhielten sich, und die Musiker gingen immer noch von Tisch zu Tisch. Niemand achtete auf Eva und ihren Gesprächspartner. Sie blickte wieder den Russen an.
»Diesmal nicht. Wir müssen einen Mann nach Moskau hineinschmuggeln … und auch hinaus, falls nötig. Du sollst ihm die nötigen Reisepapiere verschaffen.«
Gratschow starrte sie ungläubig an. »Moskau? Das ist unmöglich!«
»Wohl kaum. Du bist Oberst der sowjetischen Luftwaffe. So etwas ist durchaus im Bereich deiner Möglichkeiten.«
»Ich bin vielleicht Oberst, aber was du verlangst, ist gefährlich und undurchführbar. Wer ist der Mann?«
»Einer unserer Leute.«
»Vom Mossad?«
»Ja. Und es muß noch heute abend sein.«
Der Russe lehnte sich zurück und lachte. »Meine liebe Eva, du solltest deinen hübschen Kopf abkühlen. Er hat zu lange unter der Sonne des Mittleren Ostens gekocht.«
»Ich mache keine Witze, Wolodja.«
Der Russe spielte nervös mit seinem Glas. »Dann bist du verrückt geworden.«
Die Frau zögerte. »Wenn du nicht mitmachst, wird deine Akte noch heute abend der sowjetischen Botschaft in Tel Aviv zugespielt.«
Gratschow lief rot an und umklammerte das Glas so fest, daß die Frau glaubte, es müßte jeden Augenblick zerspringen.
»Du kleines Miststück! Wenn ich mir vorstelle, daß ich dich mal geliebt habe!«
»Immer mit der Ruhe, Wolodja. Ich bin nur die Botin.«
Die drei Musiker waren mittlerweile an ihren Tisch gekommen und spielten, während sie die beiden anlächelten.
Gratschow starrte sie eisig an. »Warum verpißt ihr euch nicht und belästigt jemand anders?«
Die drei Musiker setzten eine beleidigte Miene auf und verzogen sich.
»Wie ich sehe, hast du nichts von deinem Charme und deinem Taktgefühl verloren«, stellte die Frau lachend fest.
Gratschow schnaubte verächtlich. »Weißt du nicht mehr, wie die verdammten Deutschen diese Musik an der Front gespielt haben? Sie macht mich immer noch verrückt.«
Gratschows Ärger verflog, als seine Gedanken fast zehn Jahre in die Vergangenheit schweiften. 1943 war er als Fliegerhauptmann über Polen abgeschossen und von der Gestapo gefangen worden. Vier Tage und Nächte hatte er in Einzelhaft verbracht, während die Gestapo ihn verhört und dabei fast totgeschlagen hatte. Am fünften Tag hatte eine Gruppe von Partisanen die kleine Kaserne gestürmt, um einen ihrer Leute zu befreien.
Die Juden, von denen die meisten aus dem Warschauer Ghetto entkommen
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