Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
erhob sich. »Jetzt wissen Sie alles, Mr. Massey. Ich habe Ihnen alles erzählt, was ich weiß. Und jetzt müssen Sie mich leider entschuldigen. Rachel und ich müssen die Maschine nach Israel erwischen. Ich hoffe, Sie verstehen das. Es war zwar nur ein kurzer Besuch, aber ich habe ihn schon lange machen wollen.«
»Darf ich noch eine Frage stellen?«
»Welche?«
»Glauben Sie, daß mein Vater Sie und Alex wirklich getötet hätte?«
Sie dachte längere Zeit nach. »Nein«, antwortete sie schließlich. »Das glaube ich nicht. Obwohl nur Gott weiß, was passiert wäre, hätte Juri Lukin nicht so gehandelt, wie er es getan hat. Ihr Vater ist auf Befehl Washingtons nach Moskau gekommen. Aber wenn es hart auf hart gekommen wäre, hätte er uns nicht getötet. Er hätte uns sicherlich aufgehalten, aber er hätte sich einen Weg ausgedacht, uns aus Moskau herauszubringen. Er war ein feiner Mann, Mr. Massey. Er war ein Vater, auf den ich stolz gewesen wäre. Und wenn ich ehrlich bin, war ich vielleicht auch ein bißchen in ihn verliebt.«
Sie schaute auf die Uhr, bevor sie den Strauß weißer Orchideen vom Tisch nahm, den ich mitgebracht hatte. »Wir haben noch ein wenig Zeit, Mr. Massey. Fahren Sie doch einfach mit.Wir können Sie auf dem Weg zum Flughafen an Ihrem Hotel absetzen. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, fahren wir noch kurz am Nowodewitschi-Friedhof vorbei.«
Die Sonne schien, als wir zusammen zu den Gräbern gingen.
Rachel wartete im Wagen, und als die Sonne durch die Kastanienbäume schien, war der Friedhof kaum wiederzuerkennen. Der Himmel war klar und blau, und die trockene Hitze des Nachmittags war noch zu spüren. Alte Frauen spazierten mit Blumensträußen und Wodkaflaschen über die schattigen Wege, setzten sich an die Gräber und sprachen mit ihren Verstorbenen.
Als wir zu den beiden Grabsteinen kamen, legte Anna Chorjowa eine Orchidee auf jedes der beiden Gräber.
Ich hielt mich im Hintergrund, damit sie ungestört ihr letztes Gebet sprechen konnte. Sie weinte nicht, aber ich sah den Schmerz in ihrem Blick, als sie sich schließlich umdrehte.
»Ich habe vor langer Zeit beschlossen, daß dies hier meine letzte Ruhestätte sein sollte, wenn der Tag kommt, Mr. Massey. Ich weiß, daß Iwan, mein Ehemann, Verständnis dafür gehabt hätte.«
»Das glaube ich ganz bestimmt.« Ich schaute sie an, und mir fiel keine passende Bemerkung ein, als ich den abwesenden Blick ihrer Augen sah. »Was passiert ist, kommt einem fast wie ein Traum vor«, sagte ich schließlich.
»Manchmal frage ich mich, ob es wirklich passiert ist. Und wer es glauben würde.«
»Ich glaube es.«
Sie lächelte, als wollte sie etwas sagen, und blickte auf die beiden Gräber, als müßte ich noch etwas wissen, aber dann schien sie ihre Meinung zu ändern und schüttelte sich leicht.
»Sind Sie soweit, Mr. Massey? Leider gehören Friedhöfe nicht zu meinen Lieblingsorten. Nicht einmal an warmen, sonnigen Tagen in Moskau.«
Ich nickte, reichte ihr den Arm, und gemeinsam gingen wir zum Wagen zurück.
Sechs Monate nach dieser Begegnung erfuhr ich, daß Anna Chorjewa gestorben war.
Bob Vitali rief mich aus Langley an. Er meinte, es würde mich vielleicht interessieren, daß Anna im Sharet-Krankenhaus in Jerusalem gestorben war. Lungenkrebs. Die Beerdigung sollte vier Tage später in Moskau stattfinden.
Ich beschaffte mir die Flugkarten von Washington aus, weil ich aus irgendeinem Grund am endgültigen Ende der Geschichte teilhaben wollte.
Es schneite, als ich auf dem Flughafen Scheremetojewo landete. Die Felder und Steppen Rußlands waren gefroren und wirkten wie ein unheimlicher Gobelin. Schneeflocken wehten durch die Straßen Moskaus. Ein weiterer harter Winter hielt das Land in seinen unbarmherzigen Krallen. So mußte es damals gewesen sein, als sich Alex Slanski und Anna Chorjowa durch Rußland gekämpft hatten.
Die Beisetzung in Nowodewitschi war schlicht und hatte bereits begonnen, als ich eintraf. Gut ein halbes Dutzend Angehörige der israelischen Botschaft standen um das offene Grab herum, während ein orthodoxer Priester seine Totengebete las und der Schnee uns umwehte.
Ich sah Anna Chorjowas Enkelin, die sich an den Arm einer gutaussehenden Frau in den Vierzigern klammerte. Es mußte Sascha sein. Beide waren blaß vor Trauer. Der Sarg war noch offen, und ich wartete, bis die Reihe an mich kam, Anna Chorjowa einen letzten Abschiedskuß auf ihre marmorne Wange zu geben. Einen kurzen Moment betrachtete ich sie und
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