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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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lassen. Die seien alle nach kurzer Ehe von zu Muttertieren mutierten Emanzen geschieden und fühlten sich nun berufen, den vergeblichen Kampf zu verklären, den ihre Frauen gegen sie geführt hätten. Einmal hat mir Jan Friedl von einer Amerika-Reise – als Museumsdirektor fuhr er oft in die USA – eine Karte geschickt, auf der Hemingway mit einem etwa zehnjährigen Buben abgebildet war. Beide sitzen am Strand und halten Gewehre in der Hand.
    »Ich habe beschlossen«, schrieb Jan auf der Rückseite, »künftig auf Fische zu schießen.«
    Im Laufe des Abends, es waren nur etwa zweieinhalb Stunden, die wir zusammen waren, die restlichen 45 Minuten verbrachte ich mit anderen Menschen, war auch vom Krieg die Rede. Alle Kriege des zwanzigsten Jahrhunderts, selbst die in Fernost, führte Jan Friedl auf die Unfähigkeit von Kaiser Franz Joseph zurück. Der Mann habe in seinem Altersstarrsinn Europa zerstört. Hätte man sich seiner um die Jahrhundertwende entledigt, alles wäre anders gekommen. Mit Blick auf die Westfront im Ersten Weltkrieg vertrat Jan Friedl eine merkwürdige These. Er sagte, das Wunder an der Marne sei kein Wunder gewesen und habe nichts mit dem deutschen Nachschub zu tun gehabt. Die braven Soldaten hätten bloß die Champagnerkeller leergesoffen und so den Franzosen Zeit gelassen, ihre Abwehrstellungen aufzubauen. Den Champagner nicht rechtzeitig fortgeschafft zu haben sei der raffinierteste Schachzug der französischen Kriegstaktik gewesen.
    Das ist es im wesentlichen, woran ich mich erinnere. Jan Friedl schaute vor allem in den Saal hinab. Einmal machte er mich auf eine Frau aufmerksam, deren Kleid aus Schnittblumen und anderen Gewächsen gemacht war.
    »Ist das nicht eine phantastische Lösung«, sagte er. »Die Frau stellt sich nach dem Ball einfach auf den Komposthaufen und läßt die Hüllen fallen.«
    »Phantastisch, phantastisch«, so ging das in einem fort.
    Begegnungen gab es vor allem beim Hineingehen. Schon an der Garderobe habe ich eine Menge Bekannte getroffen, Geschäftsleute, Politiker, sogar einen unserer Angestellten. Mit Kommerzialrat Peter Schwarz, einem Kollegen, habe ich mich für später verabredet, einem Konkurrenten, wenn Sie so wollen. Ihm gehörte die Brotfabrik in Floridsdorf. Die Marktanteile waren aber praktisch vergeben. Echte Konkurrenten waren wir eigentlich nur bei den neuen Supermärkten. Da versuchte natürlich einer den anderen auszutricksen. Das war wie ein Familiensport. Im Industriellenverband arbeiteten wir zusammen.
    Ein besonders tragischer Fall, weil praktisch die ganze Familie auf dem Opernball umgekommen ist. Ja, es gibt Gespräche, aber entschieden ist nichts. Eine Tochter hat überlebt. Sie ist in Deutschland verheiratet und hat offenbar kein Interesse, die Firma weiterzuführen. Das Geschäftliche würde verlangen, daß man sofort entscheidet, damit kein Schaden entsteht, aber das Familiäre ist in diesem Fall so entsetzlich, daß man es schwer hintanstellen kann. Wie ich höre, gibt es noch andere Interessenten, einen italienischen Konzern zum Beispiel. Ich habe zu einem Herrn vom Kartellamt gesagt: »Wenn die Italiener den Zuschlag kriegen, haben wir die Mafia endgültig im Haus.«
    Wissen Sie, was der geantwortet hat? »Wenn das Brot dadurch billiger wird, soll es mir recht sein.«
    Wahrscheinlich hat er gehofft, daß ich ihn schmieren werde. Aber da hat das Freundchen bei mir Pech gehabt. Lieber suche ich mir einen neuen Jan Friedl.
     
    Fritz Amon, Revierinspektor
    Fünftes Band
     
    Wir hatten um die am Boden liegende Frau einen dichten Kordon gebildet, konnten die Stellung aber kaum halten. Von links und rechts stürmte es in regelmäßig wiederkehrenden Druckwellen auf uns ein, so heftig, daß wir Mühe hatten, die Frau nicht zu zertrampeln.
    »Mörder«, riefen sie. »Mörder, Mörder.« Immer nur das eine Wort. Sie machten sich und uns verrückt damit. Ich habe auch heute noch keine Ahnung, wie das passiert ist. Plötzlich lag sie unter unseren Füßen. Vielleicht ist sie gestolpert, oder sie wurde niedergerissen. Wir konnten gar nicht anders, als auf ihr herumzusteigen, weil es keinen Platz gab und die Chaoten nicht nachließen. Die vorderen Reihen wurden gegen unsere Schilde gepreßt, ob sie wollten oder nicht. Wir stemmten uns dagegen, und da spürte ich plötzlich, daß da unter meinen Füßen ein Körper lag. Ohne daß ich es wollte, mußte ich mehrmals draufsteigen, weil ich sonst keinen Halt fand. Es wurde gerade mit aller Kraft

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