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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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geschoben. Schließlich ging es wieder vorwärts, die Chaoten wichen unter dem Ansturm der Knüppel zurück, und die Kollegen vom Eingreiftrupp konnten sich um die Frau kümmern. Sie verständigten einen Rettungswagen.
    Doch dann passierte ein Mißverständnis. Während wir uns um die Verletzte herum zu einem Ring formierten, zogen sich die Grenzschützer, so, wie es ursprünglich vereinbart war, auf den Platz vor den Musikverein zurück. Sie übersahen, daß wir bei der Verletzten bleiben mußten und auf uns allein gestellt zu schwach waren, um einem größeren Ansturm standzuhalten. Und da kam er auch schon. Die Demonstranten hatten mitbekommen, daß zwischen unseren Füßen eine Verletzte lag. Vielleicht gab das auch jemand durch das Megaphon bekannt. Im Chaos achtete ich nicht auf die ohnedies meist nur provokanten Megaphonsprüche. Mit einemmal stürmten sie von allen Seiten auf uns ein. Und sie schrien: »Mörder, Mörder.«
    Das lockte wieder andere an. Innerhalb kürzester Zeit waren wir eingekreist. Dann eine Druckwelle, und noch eine. Und immer dieses herausfordernde »Mörder, Mörder«, das einen zum äußersten trieb, an die Grenze der Selbstkontrolle. In der Polizeischule hatten sie uns gelehrt, man solle den Demonstranten in so einem Falle nicht ins Gesicht schauen. Dann könne man sich besser beherrschen, könne vernünftiger überlegen, wie man der Herausforderung begegne. Niemals, egal, was passiert, die Grenze der Selbstkontrolle überschreiten.
    »Angespuckt wird nur die Uniform, und das kann man abwischen«, hat uns ein alter Beamter in der Polizeischule gesagt. Ich erinnerte mich an diesen Satz. Ich sagte ihn vor mich her, schaute den Chaoten nicht ins Gesicht. Aber ich schaffte es nicht mehr, mich an irgendwelche psychologischen Regeln zu halten. Ich hatte keine Kraft mehr dazu. Den ganzen Abend waren wir immer wieder als Faschisten bezeichnet worden, als die Mörder von Abdul Haman, oder schlichtweg als Schweine. Man warf mit Steinen nach uns, mit Verkehrsschildern, Bierflaschen, dann mit Eisenschellen, Latten und Brettern von einer Baustelle in der Margaretenstraße. Wenn man ständig herausgefordert wird, sich aber ständig vorsagen muß, ruhig, ruhig, die wollen dich nur herausfordern, entsteht irgendwann der brennende Wunsch in dir, endlich Ernst zu machen.
    »Jetzt nur nicht die Nerven wegschmeißen!« haben wir uns selbst gut zugeredet. Es war ein ständiges Wechselbad von Gefühlen. Uns wurde das bei Schulungen oft und oft erklärt. Es wurde uns genau gesagt, warum wir wie reagieren. Und wenn man sich das im nachhinein überlegte, mußte man zugeben, es stimmte.
    Wenn es gerade wüst hergegangen war und ich ein paar Momente zum Verschnaufen hatte, konnte es sein, daß mich die Angst überkam. Aber die darf man sich nicht eingestehen. Schon gar nicht darf man die eigene Angst den anderen zeigen. Sie würden dich sofort einen »Waschlappen« nennen, oder einen »Hosenscheißer«.
    Bei meinem ersten Einsatz mit der Waffe hatten wir einen Bankräuber verfolgt. Wir vermuteten, daß er sich in einem Haus versteckt hielt. Als ich nicht als erster hineingehen wollte, sagte mein Vorgesetzter: »Brauchst einen Vogerldoktor oder Honigmilch?«
    Was er damit meinte? Ein Vogerldoktor ist ein Psychologe. Er kümmert sich sozusagen um deinen Vogel. Na, und Honigmilch verstehen Sie ja. Seither weiß ich, Angst gibt es bei uns nicht. Am besten überwindet man sie, indem man sich und die anderen anfeuert.
    »Jetzt schlagen wir ihnen die Goschn ein!« sagten wir, bevor wir am Karlsplatz losstürmten, und: »Los, reißen wir ihnen den Arsch auf!« Wenn wir im Bereitschaftsbus saßen und Demonstranten zusahen, konnte es sein, daß wir uns jeder einen aussuchten und einander erzählten, was wir mit ihm machen würden, wenn wir ihn erwischen. Als ich das erste Mal dabei war, hat mich das schockiert. Da gingen Demonstranten an unserem Bus vorbei. Einer schaute besonders auffällig herein. Ohne daß es einen Grund zum Eingreifen gab, sagte der Kollege neben mir: »Schau nur herein! Gleich werde ich dir einen Tunnel in den Schädel schießen und ihn ausblasen wie ein Osterei.«
    Das hat mich schockiert. Ich habe mir den Kollegen angesehen und gedacht: Der hat ihm doch gar nichts getan. Ich mußte erst lernen, daß auch dieses gegenseitige Aufputschen dazugehört. Heute fällt es mir nur noch bei neuen Sprüchen auf. Sicher, die Sprüche wurden brutaler. Aber das besagte eigentlich das Gegenteil. Es hing damit

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