Opernball
Woher? Gabrielle, Gabrielle, helfen Sie mir, ist das die Fernsehsprecherin? Hat er also doch geplaudert. Wir hatten natürlich strikte Diskretion vereinbart.
Als ich zu Beginn unseres Kontrakts Jan Friedl das erste Mal zum Opernball einlud, weigerte er sich, mitzukommen. Jahrelang sah ich keinen Grund, die Einladung zu wiederholen, weil ich davon ausging, daß er sie ohnedies nicht annehmen würde. Mein Geld hatte ihn sozialisiert, aber deshalb läuft man doch nicht gleich zum Opernball. Eigentlich habe ich ihn letztes Jahr nur so nebenbei gefragt, weil ich, als wir wieder einmal beim Japaner saßen, gerade das Schreiben der Gnädigen Frau bekommen hatte. Ich war verblüfft, als er ja sagte. Denn ich hatte mir schon überlegt, den Generaldirektor eines Schweizer Lebensmitteldiscounters einzuladen, mit dem ich in geschäftlichen Verhandlungen stand. Er hätte mit Catherine Petit in einer gemeinsamen Chartermaschine fliegen können. Aber der Generaldirektor und Jan Friedl an einem Tisch, dieser Kombination wollte ich nicht recht trauen. Dafür war mir das Geschäft zu wichtig. Catherine Petit Fürstin Kropotkin, wie sie mit vollem Namen heißt, hatte am Abend, wie Sie wissen, Vorstellung in Basel. Ich charterte das Flugzeug für sie allein. Es landete in Schwechat nachts um halb eins. Sie wollte ohne Begleitung kommen, was mir, warum soll ich es verschweigen, nicht unangenehm war.
Catherine Petit ist eine Urenkelin des russischen Revolutionärs Fürst Peter Kropotkin. Als der 1917 wieder nach Rußland ging, ließ er in Paris einen Sohn zurück, vermutlich weil er ihn aus den Revolutionswirren heraushalten wollte. Möglicherweise hat der Sohn sich aber auch geweigert, den anarchistischen Flausen seines Vaters zu folgen. Schließlich kannte er Rußland nicht, wenngleich er russisch sprach und in hohem Alter auf seinen Vater sehr stolz war, wie mir Catherine erzählte. Im englischen Exil geboren, war er mit seinem Vater nach Frankreich übersiedelt, wo er später als Professeur in einem Pariser Lycée arbeitete und eine seiner Schülerinnen heiratete. Sie hatten mehrere Kinder. Noch vor dem Einmarsch der Deutschen zog die ganze Familie in die Schweiz. Das war für sie relativ leicht, weil ein kleiner Teil des ehemaligen Kropotkinschen Vermögens noch immer auf einer Schweizer Bank lag und von den Behörden zur ökonomischen Sicherstellung akzeptiert wurde. Es muß ein merkwürdiges Leben gewesen sein. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg war es der ganzen Familie untersagt, in der Schweiz zu arbeiten.
Ein Sohn wurde, wie es sich gehört, Peter getauft. Der gründete in der Nachkriegszeit mehrere Geschäfte, die alle nicht erfolgreich waren. Er schrieb das seinem Namen zu. Kein guter Schweizer wollte mit Peter Kropotkin Geschäfte machen. In der Liebe war er erfolgreicher. In Lausanne heiratete er die Konzertpianistin Dominique Petit. Um ihrer gemeinsamen Tochter Catherine eine Wiederholung seines eigenen Scheiterns zu ersparen, bekam sie den Familiennamen der Mutter. Diese Kombination erlaubte es, auf diskrete Weise an die russische Tradition anzuschließen: Katherina die Kleine. Ich nenne sie Fürstin Kropotkin. Manchmal sage ich auch Ihre Hoheit. Anfangs fühlte sie sich dadurch verspottet. Aber ich blieb dabei, bis sie es kommentarlos zuließ. Meine Briefe beginnen immer mit der Anrede: Vielschöne hohe Fraue. Immer in dieser altmodischen Formel. Sie stammt von Eichendorff. Ihrer Hoheit gefällt das. Übrigens wurde ihr Vater doch noch ein erfolgreicher Geschäftsmann. Merkwürdigerweise als Generalimporteur von russischem Tee. Als solcher durfte er auch in der Schweiz Peter Kropotkin heißen.
Während Ihre Hoheit in Basel gerade zum Flugzeug eilte, saß ich mit Jan Friedl allein in meiner Loge. Es war natürlich eine Seitenloge, nicht eine dieser unerträglichen Bühnenlogen, in der besoffene Baumeister ihre Schwiegertöchter begrapschen. Schon mein Vater war ein regelmäßiger Opernballgänger. Er hat 1956, beim ersten Opernball nach dem Krieg, die Familienloge begründet. Mein Großvater hätte die Chance gehabt, 1955 beim ersten Opernball überhaupt dabeizusein, aber er war nach dem Bombenanschlag für öffentliche Vergnügungen nicht mehr zu haben. Er war zu feige geworden für das Leben, sparte lieber heimlich vor sich hin. Seine Anzüge hat er zwanzig Jahre getragen, wenn nicht länger.
Wir saßen also in unserer traditionellen Seitenloge und ließen die Eröffnung über uns ergehen. Beim Opernball hat man von
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