Opernball
hinüber und verabredeten uns für später.
Obwohl es über die Brüstung leicht möglich wäre, ist es beim Opernball vollkommen unüblich, zur Nachbarloge die Hand hinüberzureichen. Man grüßt und gibt einander später die Ehre. Nur die Baumeister in den Bühnenlogen verrenken sich beim Händeschütteln an den Trennwänden vorbei.
Jan Friedl war vollkommen in die Beobachtung des Treibens versunken. Einmal begann er, vor sich hin zu reden, ohne mich dabei anzuschauen. Es war fast ein Vortrag, in seiner Art eben, schnell gesprochene, oft abgehackte Sätze, dazwischen längere Pausen. Gedanken, die nicht vorbereitet wirkten, sondern wie ein Schwarm Fledermäuse aus der Mundhöhle flohen. Es war ein Ausfall gegen seine früheren Freunde. Er wollte mir oder auch nur sich selbst erklären, warum ein einst so geschmähter Aktionskünstler nun auf dem Opernball herumsaß und das Champagnerglas gar nicht mehr abstellte. Nur sinngemäß kann ich das wiedergeben.
Er sagte: »Wir haben es verdammt schwer gehabt, unser Geld auszugeben. Wir waren nicht von dieser Welt. Falsche Sozialisation. Jedes bessere Auto, jedes teurere Abendessen haben wir vor den Menschen, denen wir uns zugehörig fühlten, zu verbergen gesucht. Hier in Wien war das besonders schlimm. Weil die Revolte so schwach war. Darum hat auch die Erlösung so lange gedauert. Nur wer richtig revoltiert, den können wir erlösen. Wie in Frankreich. Es kommt nicht darauf an, wer wann was gedacht hat, sondern, wann welche Ideen wirksam werden. Verstehst Du, ich kann Champagner trinken und Revolutionär sein. Es geht nicht um Moral, sondern es geht um ein Spiel, dessen Regeln man verändern kann. Wer erfolgreich Kunst produziert oder eine Sammlung leitet, landet auf dem Opernball. Wer erfolgreich Brot bäckt, kauft sich eine Loge. Die Künstler sind Fallensteller. Aber sie fangen sich nur gegenseitig ein. Moralisten durch und durch. Wir haben doch nicht vorgehabt, Franziskaner zu werden. Die Franzosen haben das früher kapiert. Sie saßen auch früher an den Geldtöpfen. Der alte Sartre mußte noch mehr Trinkgeld geben, als die Rechnung ausmachte, um sich selbst über seine fetten Tantiemen zu trösten. Als er dann von einem Tag auf den anderen zur langweiligsten Interviewfrage für Simone de Beauvoir wurde, hat ihm der Kellner eine rote Rose auf den Stammtisch gestellt und dezent dafür gesorgt, daß sich kein Touristentrottel dort hinsetzt. Aber Sartre war ein Fossil des Marquis. Oder eine Yuka. Die blühen nur, wenn jemand in der Familie heiratet. Letztlich wußte der Alte Bescheid. Aber er konnte doch nicht einfach sagen: Natürlich, Herr Foucault, Sie haben vollkommen recht, ich habe mich wieder einmal geirrt. Wenn er blühte, war er dazu in der Lage. Kennst Du seine Flaubert-Arbeit? Lies das, dann wirst Du verstehen, daß er Foucault im Grunde recht gegeben hat.«
Das Geld hatte es Jan Friedl angetan. Nicht jenes Geld, das ich ihm seit unserer ersten Begegnung in der Kärntner Straße Jahr für Jahr in den Mund steckte. Damit konnte er leben, solange ich nicht den geringsten Versuch machte, auf sein Werk Einfluß zu nehmen. Das Geld, das er nun selbst verdiente, machte ihm zu schaffen. Sein Leben hatte einen ordentlichen Rahmen gefunden, und er war unfähig geworden, ihn abzustreifen.
»Opernball«, sagte er, »ist heute kein Problem mehr. Eine Provokation für die Habenichtse. Aber die werden doch mit jedem Blick aus dem Fenster provoziert. Viel zu viele Achtundsechziger sind Kunstkritiker geworden, das ist der Skandal. Aus Gesellschaftskritikern wurden mangels revolutionärer Gesellschaft Kunstkritiker. Haben jede Menge Geld, aber beim Ausgeben werden sie zu Geheimniskrämern. Weil es rundum nach Hundescheiße stinkt. Opernball kommt für sie nicht in Frage. Eigentlich sind sie Geldboten in geistigen Panzerfahrzeugen, die heimlich zwischen Medienkonzernen und Gourmettempeln pendeln. Da sitzen sie dann mit hochroten Schädeln und öffnen unter den Seidenkrawatten die Hemdkragen. Hat je ein Meisterbäcker das getan? Er trägt eine Krawatte, oder er trägt keine. Ein anständiger Mensch geht seinen Weg, selbst wenn er Kinder schändet. Aber diese Widerlinge, die dazugehören und gleichzeitig zeigen wollen, daß sie nicht dazugehören. Parfümierte Arschlöcher.«
Dann sprach Jan Friedl noch von einer Skulptur, die er in Amerika gesehen habe. Sie hieß Joy of Motherhood und sei phantastisch kitschig gewesen. Kein Kunstkritiker würde das bei uns durchgehen
Weitere Kostenlose Bücher